Das Rentensystem der Niederlande: Ist es wirklich so gut?

Das Rentensystem eines Landes ist von entscheidender Bedeutung für die finanzielle Absicherung seiner Bürgerinnen und Bürger im Alter. In diesem Artikel werden wir das Rentensystem der Niederlande genauer unter die Lupe nehmen.

Es gilt als eines der besten System der Welt. Da haben wir uns natürlich gefragt, warum das so ist. Erste Recherchen ließen uns bereits erstaunen: ein Rentenniveau von über 85 Prozent? Über 90 Prozent der Beschäftigten haben eine Betriebsrente?

Im Artikel schauen wir uns das noch genauer an. Vielleicht gibt es ja doch irgendwo einen Haken?!

Ein älteres Ehepaar sitzt auf Campingstühlen im Sonnenuntergang.

Das 3-Säulen-Modell

Auch die Niederlande arbeiten mit dem 3-Säulen-Modell. In der ersten Schicht ist die gesetzliche Rente verordnet. Im Gegensatz zu Deutschland soll sie eine Mindestabsicherung bieten. Um sich im Ruhestand einen gewissen Lebensstandard bewahren zu können, braucht es die zweite Säule mit der betrieblichen Altersvorsorge. Die letzte Säule mit der privaten Vorsorge spielt im Nachbarland eher eine untergeordnete Rolle.

Die gesetzliche Rente in den Niederlanden

Der gesetzlichen Rente liegt ein solidarischer Gedanke zugrunde. Dieses System basiert auf dem Umlageverfahren, bei dem die Beiträge der aktuell arbeitenden Generation die Renten der aktuellen Rentnerinnen und Rentner finanzieren.

Ein wesentliches Merkmal des niederländischen Rentensystems ist die AOW (Algemene Ouderdomswet), die Allgemeine Altersvorsorge. Diese Grundrente erhält jeder, der in den Niederlanden seinen Wohnsitz hat, unabhängig vom Einkommen. Anspruch auf die Leistung hat man, wenn man ein Jahr im Land gemeldet ist. Die volle Rente erhält man nach 50 Jahren. Für jedes Jahr, dass man nicht gemeldet ist, verringert sich der Anspruch um 2 Prozentpunkte.

Der Auszahlungsbetrag orientiert sich am Mindestlohn. Eine alleinstehende Person erhält maximal 70 Prozent der Einkünfte aus einer Vollzeitstelle mit Mindestlohn. In einer Partnerschaft lebende Personen erhalten jeweils 50 Prozent. Dies soll dem Umstand Rechnung tragen, dass bei einem Zusammenleben teils weniger Kosten pro Person anfallen.

2023 erhält eine alleinstehende Person somit maximal >1.430,80 Euro pro Monat plus 71,77 Euro Urlaubsgeld. Zum Vergleich: die durchschnittliche Bruttorente von Personen, die 35 Beitragsjahre in der deutschen Rentenversicherung haben, beträgt >1.550 Euro. Wir sollten dabei jedoch bedenken, dass in den Niederlanden alle dort lebenden Personen Anspruch auf Leistung haben, auch wenn sie gar nicht eingezahlt haben.

Wer die volle Rente nicht erreicht, kann zusätzliche Leistungen aus dem Sozialsystem in Anspruch nehmen.

Von der Rentenleistung gehen dann noch >Lohnsteuer, Beiträge für die Volksversicherung und die Krankenversicherung ab.

Wie finanziert sich das Ganze?

Die AOW finanziert sich grundlegend über Beiträge. Alle Niederländerinnen und Niederländer müssen 17,9 Prozent von ihrem steuerpflichtigen Einkommen bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze von >37.149 Euro einzahlen. Arbeitgeber beteiligen sich hier nicht.

Lücken in der Finanzierung werden mit Steuergeldern quer finanziert.

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Die Betriebsrente in den Niederlanden

Neben der gesetzlichen Rente spielen Betriebsrenten eine entscheidende Rolle in der niederländischen Altersvorsorge. Die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Niederlanden sind automatisch in einem Pensionsfonds ihres Arbeitgebers eingeschrieben.

Die betriebliche Rente ist quasi obligatorisch. Das bedeutet, es gibt kein Gesetz, in dem sie verpflichtend vorgeschrieben ist. Aber innerhalb der Tarifverträge wird die automatische Mitgliedschaft geregelt – und zwar flächendeckend.

Das führt dazu, dass fast 90 Prozent der Arbeitnehmer in eine der ungefähr 200 Pensionskassen einzahlt. Es gibt Pensionskassen für einzelne Branchen, Unternehmen und auch die freien Berufe. Selbständige sind in diesem System nicht mitversichert.

Im Gegensatz zur gesetzlichen Rente sind hier die Arbeitgeber beteiligt. Die Höhe der Leistung hängt von den eingezahlten Beiträgen ab.

Bisher waren die meisten Verträge als Leistungszusage gestaltet. Das heißt, es werden die Rentenzahlungen in der Zukunft berechnet und auf dieser Grundlage die Beiträge festgelegt. Die Zielrate orientiert sich an 70 Prozent des letzten Einkommens. Dadurch sind Beiträge in Höhe von 20 bis 40 Prozent notwendig.

Aber auch in den Niederlanden hat sich gezeigt, dass dieses System nicht dauerhaft gut funktioniert. Die Pensionskasse müssen große Rücklagen bilden, um in Niedrigzinsphasen zahlungsfähig zu bleiben. In der Vergangenheit mussten Rentenzahlungen auch mal gekürzt werden.

Um das zu verhindern, werden seit >Mitte 2023 nur noch Verträge mit Beitragszusage abgeschlossen. Alte Verträge sollen umgewandelt werden.

Bisher wurden Beiträge teilweise in Abhängigkeit von Alter eingezahlt. Das wird komplett abgeschafft. Alle sollen den gleichen Satz zahlen. Dieser darf maximal 30 Prozent bis zur Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rente betragen.

Die Beiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden gemeinsam mit den Beiträgen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in Pensionsfonds verwaltet. Anders als in Deutschland wird in der Regel auf einen Versicherungsmantel verzichtet, wodurch die Kosten geringer sein können. Je nach Größe des verwalteten Vermögens und Anzahl der Einzahlenden liegen die Kosten zwischen >0,17 Prozent und 0,42 Prozent des Anlagevolumens.

Wann gehen Niederländer in Rente?

Bis 2012 konnten Niederländerinnen und Niederländer noch mit 65 Jahren in Rente gehen. Seitdem wurde der Renteneintritt schrittweise angepasst. 2023 liegt er bei >66 Jahren und 10 Monaten, ab 2024 sind es 67 Jahre.

Außerdem wurde festgelegt, dass der Renteneintritt automatisch an die Lebenserwartung angepasst wird und soll jeweils 5 Jahre vor Eintritt festgelegt werden.

Sowohl ein vorgezogener als auch ein aufgeschobener Ruhestand sind hier nicht vorgesehen. Dadurch sollen Personen länger im Erwerbsleben verweilen. Es ist möglich, jenseits von 67 Jahren zu arbeiten. Dann erhält man neben dem Arbeitseinkommen noch die Rentenleistungen.

Wie hoch ist das Rentenniveau?

Dank der betrieblichen Altersvorsorge hat das Rentensystem der Niederlande ein vergleichsweise hohes Rentenniveau (Verhältnis zwischen Rentenleistungen aus den Pflichtsystemen und dem Erwerbseinkommen). Es liegt bei >85,3 Prozent – zur Erinnerung: Deutschland liegt bei 52,9 Prozent.

Für das hohe Niveau sorgen die Garantien der betrieblichen Leistungszusageverträge, die darauf abzielen bis zu 70 Prozent des letzten Einkommens abzusichern. Dadurch ist es vereinzelt möglich, dass Personen ein individuelles Rentenniveau von 100 Prozent haben. Mehr ist nicht möglich, da an dieser Stelle die Grundrente gekürzt wird.

Die private Altersvorsorge in den Niederlanden

Neben der gesetzlichen Rente und der Betriebsrente haben die Niederländer auch die Möglichkeit, private Altersvorsorgepläne abzuschließen. Dies kann beispielsweise in Form von individuellen Rentenversicherungen oder langfristigen Sparplänen erfolgen. Einige dieser Versicherungen oder Sparpläne bieten auch Steuervorteile in der Ansparphase.

Vor allem Selbständige sind auf diese Säule angewiesen, da sie nur an Säule 2 teilnehmen dürfen, wenn sie zuvor angestellt waren. Und dann auch nur für maximal 10 Jahre.

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Wie gut ist das Rentensystem der Niederlande?

Auch die Niederlande steht fortlaufend vor Anpassungsproblemen ihres Rentensystems oder zumindest eines Teils des Systems.

Was mir bei dieser Recherche besonders deutlich wurde, ist der Umstand, dass wir uns von dem Gedanken verabschieden sollten, ein perfektes Rentensystem, das zu jeder Zeit an jedem Ort zu 100 Prozent funktioniert, zusammen bauen zu können. Rentensysteme müssen dynamisch gestaltet werden, um auf sich ändernde Umgebungsfaktoren reagieren zu können.

Gute Rentensysteme benötigen, meiner Ansicht nach, Weitblick, Automatismen und ausreichend Gestaltungsspielräume.

Nicht jede gesellschaftliche Veränderung lässt sich vorhersehen. Es kommt immer wieder zu Brüchen, Tendenzen könne sich ändern oder verstärken. Dennoch ist Weitblick jenseits von Regierungsphasen notwendig, um ein langfristig funktionierendes System aufzubauen.

Als in den 50er Jahren die Umlage finanzierte Rente eingeführt wurde, wurde dies als moderne und soziale Errungenschaft verkauft. Konnte man sich damals in wissenschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Kreisen nicht vorstellen, dass die Demografie eines Tages nicht anders aussehen könnte?

Die Niederlande können dagegen mit der betrieblichen Rente punkten. Allein die Tatsache, dass 90 Prozent der Beschäftigten hier Ansprüche sammeln, ist bemerkenswert und die quasi obligatorische Teilnahme sinnvoll.

Mit der Grundrente verfügt das Land zudem über ein effektives Mittel gegen Altersarmut. Laut OECD lag 2021 der Anteil der Personen, die im Ruhestand weniger als 50 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung haben, bei >3,1 Prozent – in Deutschland dagegen bei 9,1 Prozent.

Ebenso ist es wichtig, genügend Gestaltungsspielräume innerhalb des Systems zu lassen, um Platz für Entwicklungen zu geben, für die es aktuell noch keinen Anlass gibt. Zum Beispiel reagiert der niederländische Staat entsprechend der Änderungen an den Finanzmärkten, indem er auf Verträge mit Beitragszusage wechselt und Druck von den Pensionskassen nimmt.

Obwohl man natürlich hier auch streiten kann, inwieweit man nicht hätte vorhersehen können, dass sich Zinsniveaus über die Zeit ändern können.

Automatismen ermöglichen es dem System zudem, sich unabhängig von politisch-gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen zu machen. Ein Renteneintrittsalter, das automatisch mit der Lebenserwartung steigt – wie es in den Niederlanden der Fall ist – könnte zum Beispiel dazu führen, dass weniger Energie für die Festlegung von Altersgrenzen verbraucht wird. Dann können sich die Entscheiderinnen und Entscheider darauf konzentrieren, was getan werden muss, um Arbeitnehmer gesund dahin zu bringen oder diejenigen genügend abzusichern, die es aufgrund der Arbeitsbedingungen nicht so lange schaffen.

Was mir in diesem Rentensystem wie in den meisten anderen negativ auffällt, ist, dass es wenig Regelungen für Selbständige gibt. In den Niederlanden haben sie Anspruch auf die gesetzliche Rente und damit eine gewisse Grundabsicherung. In der zweiten und weitaus wichtigeren Säule sind sie aber außen vor und müssen sich vor allem über die dritte Säule absichern.

Reformen und Anpassungen zum Rentensystem werden auch in den Niederlanden immer wieder zum Thema werden, aber ich halte das System an sich für solide und gesellschaftlich nachhaltig. Diskussionen dazu scheinen sich weniger um >Gerechtigkeit zu drehen als hier in Deutschland.

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Resümee

Insgesamt ist das niederländische Rentensystem ein interessantes Modell, das einige wichtige Prinzipien der Altersvorsorge umsetzt, darunter Solidarität, breite Beteiligung und Anpassungsfähigkeit.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass kein Rentensystem perfekt ist und immer wieder Anpassungen erfordert, um den sich ändernden Bedingungen gerecht zu werden.

Das niederländische Rentensystem kann auch Deutschland als Inspiration dienen. Aber auch andere Rentensysteme machen vieles richtig. Letztendlich ist die finanzielle Absicherung im Alter ein gemeinsames Ziel, das in vielen verschiedenen Formen erreicht werden kann.

Damit neigt sich unsere Reihe zu den Rentensystemen anderer Länder ihrem Ende. Wir haben viel von den Niederlanden, >Schweden, >Norwegen, der >Schweiz oder >Österreich gelernt. Damit stehen wir nun vor der Herausforderung, uns mit all diesen Erkenntnissen ein Rentensystem für Deutschland zu bauen, das nachhaltig und sozial ist. Aber das ist Stoff für einen anderen Artikel.

Portrait vom Autor dieses Artikels
Über Birgit Hünniger

Ich bin Finanzberaterin und unterstütze die Finanzküche bei ihrer operativen und visionären Arbeit. Meine Aufgabenbereiche sind die Führung von Beratungsgesprächen inkl. Vor- und Nachbereitung, sowie die Erstellung von Beiträgen für Blog und Newsletter.