Die steigenden Zinsen wirbeln die Kapitalmärkte durcheinander. Akteure die davon profitieren sollten, sind Kapitallebensversicherungen, da ihr Geschäftsmodell primär auf Zinsanlagen basiert. Doch so einfach ist die Sache nicht.
Neben spürbarer Entlastung bereiten die rasant gestiegenen Zinsen den Lebensversicherern schlaflose Nächte.
Im Beitrag beleuchten wir:
- Wie der Zinsanstieg die Bilanzen der Lebensversicherer entlastet
- Dabei gleichzeitig deren Anlageportfolios unter Druck setzt
- Und die Konkurrenzfähigkeit der Lebensversicherung endgültig in Frage stellt
Im Resümee ziehen wir dann den Schluss zu unserer Ausgangsfrage „Ist die Lebensversicherung noch zeitgemäß?“.
Inhaltsverzeichnis
Ausgangssituation: Das Geschäftsmodell der Lebensversicherer
Kapitallebensversicherungen kombinieren in der Regel eine garantierte Versicherungsleistung im Todesfall und im Erlebensfall. Da die Zahlungsversprechen im Erlebensfall oft Jahrzehnte in der Zukunft liegen, entstehen erhebliche bilanzielle Herausforderungen.
Während Aktien kaum kalkulierbar sind, bringen Anleihen mit fest vereinbarten Laufzeiten und Zinszahlungen Planbarkeit in die >Anlageportfolios. Zudem müssen Anleihen von Lebensversicherern mit weniger Eigenkapital hinterlegt werden als Aktien.
Es ist also wenig verwunderlich, dass über 75 Prozent der Anlagen der Lebensversicherer aus Anleihen bestehen.
Der Traum ist eine Anleihe, mit einer identischen Laufzeit zum vereinbarten Versicherungsvertrag und einem Zins der ausreicht, die gegebenen Versprechen zu erfüllen. Tatsächlich haben die Anleihen in den Portfolios der Versicherer kürzere Laufzeiten als die vereinbarten Lebensversicherungen. Diese Laufzeitdifferenz birgt Risiken.
Besonders deutlich wurde das in der vergangenen Niedrigzinsphase. In den 90er Jahren haben die Lebensversicherer ihren Kunden Garantiezinsen von 4 Prozent pro Jahr und mehr versprochen.
Keiner konnte sich damals vorstellen, dass das Zinsniveau einmal unter die versprochenen Garantiezinsen (bzw. Rechnungszinsen) fallen würde. Doch genau das ist geschehen. In der Niedrigzinsphase konnten Lebensversicherer in der Neuanlage nicht mehr ausreichend Zinsen erwirtschaften, um die versprochenen >Garantien auszufinanzieren.
Die positiven Auswirkungen des Zinsanstieges
Die seit 2022 gestiegenen Zinsen bringen spürbare Entlastungen für die Lebensversicherung mit sich.
In der Neuanlage können wieder höhere Zinserträge erzielt werden. So lagen im Februar 2023 die erzielbaren Renditen von >Bundesanleihen mit 15 Jahren Laufzeit bei deutlich über 2 Prozent pro Jahr.
Neben positiven Effekten bei der Neu- und Wiederanlage führen die steigenden Zinsen zu einer Verringerung der >Barwerte von Zahlungsversprechen, die in der Zukunft liegen.
Habe ich versprochen, einem Versicherten in 20 Jahren 25.000 Euro auszuzahlen, muss ich bei einem jährlichen Anlagezins von 1 Prozent 20.489 Euro zurückstellen. Bei einem Anlagezins von 3 Prozent verringert sich die Summe auf 13.842 Euro.
Die Abnahme des Barwertes von Zahlungsversprechen führt zu einer Zunahme der Eigenmittel und damit zu einer Stärkung der Bilanz.
Ein weiterer positiver Effekt ergibt sich bei der >Zinszusatzreserve.
Wenn die am Markt erzielbaren Zinsen für bestimmte Anlagen unter die versprochenen Garantiezinsen fallen, muss für die betroffenen Verträge eine Zinszusatzreserve aufgebaut werden. So soll sichergestellt werden, dass die Zinsversprechen langfristig erfüllt werden können. Für die Berechnung der Rückstellungshöhen wird ein von der Bundesbank veröffentlichter Referenzzinssatz herangezogen, welcher sich an den durchschnittlichen Zinssätzen der letzten 10 Jahre orientiert.
2022 konnte die Zinszusatzreserve, welche 2022 branchenweit etwa 93 Milliarden Euro umfasste, zum ersten Mal abgeschmolzen werden. Möglich machten das ein stagnierender Referenzzins, welcher zuvor stetig gesunken war und Bestandseffekte. Die Bestandseffekte ergeben sich daraus, dass Altverträge mit hohen Garantiezinsen immer kürzere Laufzeiten aufweisen und allmählich auslaufen.
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Die freiwerdenden Mittel der Zinszusatzreserve kommen dabei ausschließlich den Versicherten zugute.
Die negativen Seiten des rasanten Zinsanstieges
Neben Licht bringen die steigenden Zinsen Schatten mit sich.
Das Anlageportfolio einer Kapitallebensversicherung besteht primär aus Anleihen. Gerade in der Niedrigzinsphase haben sich Versicherer oft mit länger laufenden Anleihen eingedeckt, da diese meist etwas mehr Zinsen versprechen als kürzer laufende Anleihen.
Ein Merkmal lang laufender Anleihen ist, dass diese empfindlich auf Zinsänderungen reagieren.
- Steigen die Zinsen am Markt, fallen die Kurse von Bestandsanleihen
- Umgekehrt steigen die Kurse, wenn die Zinsen fallen
Während die Zinsen in der letzten Dekade stetig gesunken sind, haben die Lebensversicherer durch die Wertgewinne ihrer Anleihen stille Reserven aufgebaut. Diese stillen Reserven haben sie teilweise durch Verkäufe von Bestandsanleihen realisiert, um die Zinszusatzreserve aufzubauen.
Durch die rasant steigenden Zinsen hat sich die Situation umgekehrt. Aus stillen Reserven werden stille Lasten, da die Anleiheportfolios der Versicherer nun Zinsen unter dem aktuellen Marktniveau aufweisen.
Problematisch werden stille Lasten, wenn sie durch Verkäufe realisiert werden. Werden Anleihen hingegen bis zur Fälligkeit gehalten, müssen die Lebensversicherer keine Verluste hinnehmen.
Warum die Zinsen nicht zu schnell steigen dürfen
Da Lebensversicherer überwiegend länger laufende Anleihen in ihren Portfolios haben, profitieren sie erst mit einem starken Zeitverzug von steigenden Zinsen.
Während der normale Sparer bereits Bundesanleihen und Festgelder mit Zinsen von deutlich über 2 Prozent zeichnen kann, liegen in den Portfolios der Versicherer haufenweise schlechter verzinste Anleihen.
Problematisch wird das, wenn die von den Versicherern ausgewiesene Überschussbeteiligung deutlich unter dem liegt, was ein Sparer mit Alternativanlagen erzielen kann. Kommt dieser auf die Idee, seinen Vertrag vorzeitig zu kündigen, muss der Versicherer den versprochenen Rückkaufswert auszahlen.
Um seine Versicherungsnehmer auszahlen zu können, muss der Versicherer Bestandsanlagen veräußern. Er löst seine Anleihen also mit Verlust auf und realisiert seine stillen Lasten.
Liegt der Verkaufserlös der Anlagen unter dem versprochenen Rückkaufswert, belastet das direkt das Eigenkapital des Lebensversicherers. Kündigen viele Kunden, besteht das Risiko, dass das Eigenkapital nicht ausreicht, um alle Ansprüche zu befriedigen. Die logische Folge ist die Zahlungsunfähigkeit.
Erschwerend kommt hinzu, dass zuerst alle Kunden mit niedrigen Garantiezinsen in ihren Verträgen kündigen dürften, was die Bilanzen noch weiter belastet.
Die Lebensversicherer müssen also hoffen, dass der Zinsanstieg langsam ein Ende findet. Aktuell befinden wir uns noch auf einem Niveau, welches Handlungsspielraum bietet. Zum einen können die freiwerdenden Mittel aus der Zinszusatzreserve genutzt werden, um Verluste aus der Realisierung stiller Lasten abzufedern. Zum anderen können die Mittel genutzt werden, um die Überschussbeteiligung konkurrenzfähig zu halten.
Darüber hinaus muss jedem klar sein, der eine neue Kapitallebensversicherung abschließt, dass die Erträge aus seiner Neuanlage zum Teil zur Querfinanzierung von Verträgen mit hohen Garantiezinsen genutzt werden.
Resümee: Ist die Lebensversicherung noch zeitgemäß?
Das Wunsch-Szenario der Lebensversicherer wären langsam steigende Zinsen gewesen. Die Realität hatte andere Pläne und hat die Branche mit rasant steigenden Zinsen konfrontiert.
Für die Bilanz bedeutet das zunächst einen Eigenkapitalgewinn, da die Abnahme des Barwertes für die Zahlungsversprechen an die Versicherten andere Effekte überwiegt.
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Problematisch wird es, wenn Alternativanlagen durch den Zinsanstieg so attraktiv werden, dass sie die Überschussbeteiligungen der Versicherer in den Schatten stellen. Kommen Versicherungsnehmer in der Folge auf die Idee, ihre Verträge vorzeitig zu kündigen, müssen stille Lasten realisiert werden. Das Eigenkapital des Versicherers sinkt.
Besonders exponiert sind Versicherungsunternehmungen, die in den letzten Jahren primär auf langlaufende Anleihen gesetzt haben.
Womit wir zu Ausgangsfrage kommen: Ist die Lebensversicherung noch zeitgemäß?
Lebensversicherer haben seit jeher ein schwieriges Geschäftsmodell. In der ungewissen, sich ständig ändernden Welt des Kapitalmarktes geben sie Garantien für die nächsten Jahrzehnte. Dabei kommen sie sowohl durch sinkende als auch durch schnell steigende Zinsen unter Druck.
Es scheint fast so, als ob das optimale Marktumfeld für die Lebensversicherung erst noch erfunden werden muss.
Die Frage ist für uns damit nicht Ist die Lebensversicherung noch zeitgemäß?, sondern: War sie das jemals?