Seit 2022 ist das Rentensystem von Frankreich in aller Munde. Die geplante Reform und die teils heftigen Proteste wurde auch in Deutschland medial begleitet.
In den Artikeln tauchen dabei die verschiedensten Zahlen auf: Renteneintritt mit 64, 42 Rentenkassen, 43 Jahre Einzahlung. In unserem Beitrag schauen wir uns die Zahlen und das System dahinter genauer an, um zu verstehen wie die Rente in Frankreich funktioniert und was sich mit der Reform ändert.
Inhaltsverzeichnis
Die 3 Säulen
Wie in Deutschland sieht auch das Rentensystem von Frankreich 3 Säulen vor, die zusammen genommen das Leben im Ruhestand finanzieren sollen:
- Die gesetzliche Rente / Basisrente
- Die betriebliche Rente / Zusatzrente
- Die private Vorsorge
Da die Pflichtsysteme der Rentenversicherung Teil des Sozialversicherungssystems sind und dieses ein wenig anders funktioniert als das deutsche, werden wir zunächst einen Blick darauf werfen.
Das Sozialversicherungssystem in Frankreich
In Frankreich gibt es >4 Gruppen von Sicherungssystemen. Jedes dieser Sicherungssysteme umfasst mehrere Bereiche der Sozialversicherung. Dazu gehören unter anderem Krankheit, Invalidität und Rente. Die 4 Systeme unterscheiden sich wie folgt:
- Das allgemeine Sozialversicherungssystem: Hier zahlen vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Privatwirtschaft ein.
- Das landwirtschaftliche System: Hier zahlen landwirtschaftliche Arbeitnehmer und selbständige Landwirte ein.
- Die besonderen Systeme: Hier zahlen besondere Gruppen von Arbeitnehmern ein wie zum Beispiel Beamte, Militär, Eisenbahner, Bergleute und Angestellte der Pariser Oper.
- Die autonomen Systeme: Hier zahlen Selbständige und Freiberufler ein. Diese Gruppe wurde ab 2018 zum größten Teil in die Verwaltung durch das allgemeine Sozialversicherungssystem eingegliedert. Die Versorgungskassen für die Zusatzrente bleiben jedoch weiterhin bestehen.
Zusätzlich gibt es noch Zusatzversorgungssysteme innerhalb der Sozialversicherung, in die alle Erwerbstätigen einzahlen (siehe Zusatzrente). Durch diese Aufteilung existieren 42 Versorgungskassen für die Basis- und Zusatzrente.
Die meisten Erwerbstätigen sind im allgemeinen System versichert, darum werden wir uns hauptsächlich darauf beziehen.
Das allgemeine Sozialversicherungssystem wird zu 80 Prozent von Beiträgen und Abgaben finanziert, der Rest wird mit Steuern quer finanziert.
Die Beiträge für die Sozialversicherung werden wie in Deutschland von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gezahlt. Selbständige zahlen auf Grundlage ihres zu versteuernden Einkommens ein. Das bedeutet, dass auch diese Berufsgruppe unter anderem in die gesetzliche Rente einzahlt.
Neben den klassischen Beitragsarten (Krankenversicherung, Rentenversicherung) gibt es speziell in Frankreich zwei Beiträge, die nicht nur auf Grundlage des Einkommens aus beruflicher Tätigkeit berechnet werden, sondern auch auf Grundlage von Einkommen aus Vermögen und Geldanlagen: der Allgemeine Sozialbeitrag (CSG) und der Beitrag zur Abtragung der Sozialversicherungsschulden (CRDS).
Die gesetzliche Rente
Wie wir gesehen haben, ist die Rentenversicherung ein integrierter Teil der Sozialversicherung. Wie in Deutschland ist sie umlagefinanziert. Das heißt, die aktuellen Beiträge der Erwerbstätigen werden gleich an die Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt. Sollten die Versicherungsbeiträge nicht ausreichen, werden über Steuern weitere Mittel bereitgestellt.
Diese Säule wird auch als Basisrente bezeichnet.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen unterschiedliche Beiträge vom Bruttolohn in die Rente ein:
- Arbeitnehmer: >6,9 Prozent bis zur Beitragsbemessungsgrenze von >3.666 Euro pro Monat und 0,4 Prozent auf das gesamte Entgelt
- Arbeitgeber: 8,55 Prozent bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 3.666 Euro pro Monat und 1,9 Prozent auf das gesamte Entgelt
Wie viel Rente bekommt man in Frankreich?
Die volle gesetzliche Rente kann bis zu 50 Prozent des Bruttogehaltes betragen. Berechnungsgrundlage hierfür sind die 25 besten Verdienstjahre. Das maximal anrechenbare Gehalt ist die Beitragsbemessungsgrenze. Die vollen 50 Prozent erhält man jedoch nur, wenn man aktuell mindestens 41,75 Jahre (unter Berücksichtigung von beispielsweise Elternzeiten) eingezahlt oder das Regeleintrittsalter erreicht hat.
Vor einigen Jahren wurde bereits beschlossen, die Mindestanzahl der Einzahlungsjahre schrittweise zu erhöhen. Ab >1973 Geborene müssen mindestens 43 Jahre einzahlen. Im Zuge der aktuellen Rentenreform wurde diese Grenze 1965 vorgezogen.
Ist keine der Bedingungen erfüllt, werden für jedes Quartal 0,625 Prozentpunkte von der Vollrente abgezogen, dabei darf jedoch die Grenze von 37,5 Prozent der Berechnungsgrundlage nicht unterschritten werden.
Maximal werden in Frankreich >1.833 Euro Rente pro Monat ausgezahlt.
Eine Mindestrente gibt es auch. Diese beträgt 1.100 Euro pro Monat und soll ab 1. September auf 1.200 Euro steigen. Das soll vor allem diejenigen absichern, die den Mindestlohn erhalten. Allerdings erhält man auch hier nur den vollen Betrag, wenn 41,75 / 43 Jahre eingezahlt oder das Regelrentenalter erreicht wurde.
Von der Rente gehen noch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ab.
Wann können Französinnen und Franzosen in Rente gehen?
Das Renteneintrittsalter bildet einen der Kernpunkte der aktuellen Rentenreform und ist Hauptanstoß für die zahlreichen Proteste, von denen auch in Deutschland seit Monaten regelmäßig berichtet wird.
Das Rentensystem von Frankreich sieht einen regulären Eintritt in die Rente mit 67 Jahren vor. Ab diesem Zeitpunkt erhält man automatisch eine abschlagsfreie Rente.
Bisher konnten Franzosen bereits mit 62 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. Voraussetzung hier sind die oben bereits erwähnten 41,75 / 43 Jahre. Dieser vorgezogene Renteneintritt wird ab 1. September aus 64 Jahre erhöht.
Die Erhöhung des Mindesteintrittsalters wird in Frankreich als sozial ungerecht angesehen.
Es betrifft vor allem geringer qualifizierte Arbeitskräfte, die sehr früh in das Arbeitsleben eingestiegen sind. Oft verrichten diese körperlich schwere Arbeiten.
Wer zum Beispiel bereits mit 18 Jahren einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachging, muss 46 Jahre arbeiten und einzahlen, um abschlagsfrei in den Ruhestand gehen zu können.
Das aktuelle Durchschnittsalter beim Renteneintritt liegt bei Frauen bei >60,9 Jahren und bei Männern bei 60,4 Jahren.
Die Zusatzrente
Die betriebliche Rente, die in Frankreich als Zusatzrente bezeichnet wird, gehört zur Pflichtversicherung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der allgemeinen Sozialversicherung. Anders als beispielsweise in >Österreich oder >Norwegen ist sie rein Umlage finanziert.
Wer in Frankreich eine Arbeit aufnimmt, wird in der Regel vom Arbeitgeber bei der jeweiligen Rentenkasse angemeldet. Die meisten Arbeitnehmer sind im >Agirc-Arrco-System versichert. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber zahlen abhängig von der Höhe des Einkommens ein. Die Beitragsbemessungsgrenze orientiert sich an der der Sozialversicherung (3.666 Euro pro Monat), die Obergrenze ist das 8-fache der Beitragsbemessungsgrenze (29.328 Euro).
- Arbeitnehmer, die bis 3.666 Euro verdienen, zahlen 3,15 Prozent auf ihr Bruttoeinkommen, der Arbeitgeber zahlt 4,72 Prozent (gesamt: 7,87 Prozent).
- Arbeitnehmer, die zwischen 3.666 und 29.328 Euro verdienen, zahlen 8,64 Prozent auf ihr Bruttoeinkommen, der Arbeitgeber zahlt 12,95 Prozent (gesamt: 21,59 Prozent).
Die eingezahlten Beiträge werden in Rentenpunkte umgewandelt. Die Anzahl der Punkte wird zu Rentenbeginn mit einem gesetzlich festgelegten Wert multipliziert. Die gezahlten Beiträge werden jedoch nicht zu 100 Prozent angerechnet. In der ersten Tranche werden 6,2 Prozent angerechnet, in der zweiten Tranche 17 Prozent. Die darüber hinausgehenden eingezahlten Beiträge dienen der Finanzierung des Systems.
Für den Zeitpunkt des Renteneintritts gelten die gleichen Regeln wie bei der Basisrente. Wer früher in Rente gehen will, ohne über die notwendige Anzahl von Beitragsjahren zu verfügen, muss Abschläge in Kauf nehmen (>10 Prozent pro Jahr). Für eine Aufschiebung des Renteneintritts gibt es Zuschläge. Die Rente kann 4 Jahre aufgeschoben werden, dann sind Zuschläge bis maximal 30 Prozent möglich.
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Wie hoch ist das Rentenniveau in Frankreich?
Das Rentenniveau – also die Höhe der Rente gemessen am Nettogehalt – liegt in Frankreich bei >74,4 Prozent. Das ist oberhalb des Durchschnitts aller OECD-Staaten (62,4 Prozent). Zum Vergleich: Deutschland liegt bei 52,9 Prozent.
Diese Zahl beinhaltet nur die Pflichtsysteme – freiwillige und private Vorsorge ist dort nicht enthalten. Für Frankreich werden demnach sowohl Basis- als auch Zusatzrente berücksichtigt. In Deutschland wird die Betriebsrente nicht berücksichtigt, da zwar jeder Arbeitnehmer ein Recht auf diese hat, es aber keine Pflicht besteht.
Die durchschnittliche Rente über die Pflichtsysteme lag 2018 bei >1.576 Euro, wobei es deutliche Unterschiede zwischen Männern (1.806 Euro) und Frauen (1.367 Euro) gibt.
Die private Vorsorge
Die private Altersvorsorge spielt in Frankreich nur eine untergeordnete Rolle. Es gibt steuerliche Anreize für einen freiwilligen betrieblichen Rentenplan, in den Arbeitnehmer und Arbeitgeber einzahlen können. Die Beiträge sind steuerlich ansetzbar.
Daneben gibt es die üblichen nicht geförderten Möglichkeiten zusätzlich für die Rente vorzusorgen: Versicherungen, Banksparpläne oder Pensionsfonds.
Das Rentensystem von Frankreich und die Reform 2023
Auch vor Frankreich macht der demografische Wandel nicht halt. Französinnen und Franzosen bekommen im Schnitt zwar mehr Kinder als die Deutschen, doch auch hier ist die Geburtenrate rückläufig. 2018 kamen auf einen Rentner >1,7 Einzahlende. Das reicht vermutlich nicht, um das System langfristig stabil zu halten.
Rentenreformen gab es in der Vergangenheit mehrere und oft stand das Renteneintrittsalter im Mittelpunkt. Die ursprünglichen Ziele der aktuellen Reform sollten jedoch umfassender und grundlegender sein. Angestoßen wurde das Ganze 2017. Damals ging es um strukturelle Veränderung, mehr Transparenz und die Beseitigung von Ungerechtigkeiten.
Mit seinen 42 Rentenkassen gehen sehr große Unterscheide und viele Sonderregeln zwischen einzelnen Branchen und Berufsgruppen einher. Das Personal der Pariser Verkehrsbetriebe konnte beispielsweise bereits mit 52 Jahren in Rente gehen und erhielt hohe Auszahlungen.
Zwei Jahre später ging es dann weniger um die strukturellen Unzulänglichkeiten. Die drohenden Defizite im Staatshaushalt standen nun im Mittelpunkt. Dann verschwand das Thema von der Tagesordnung und tauchte erst 2022 wieder auf. Diesmal ging es darum, das Rentensystem finanziell zu stabilisieren, um der Querfinanzierung über Steuern beizukommen.
Frankreich gibt für die Finanzierung der Renten über 330 Milliarden Euro aus, das entspricht ungefähr >14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Wie bereits oben beschrieben, bildet der Zeitpunkt des Renteneintritts und die Anzahl der Beitragszeiten einen Kernpunkt der Reform. Daneben wurde beschlossen, viele der Pensionskassen langfristig zu schließen. Berufseinsteiger sollen sofort in das allgemeine System einzahlen.
Von Teilen der Bevölkerung wird diese Reform als sozial ungerecht wahrgenommen. Die Erhöhung des Renteneintrittsalter ist besonders für gering qualifizierte Arbeitskräfte, die früh in den Beruf eingestiegen sind, eine Belastung.
Zudem zeigen viele Arbeitgeber eine fehlende Bereitschaft zur Weiterbeschäftigung von älteren Arbeitnehmern. Es wird befürchtet, dass ein höheres Rentenalter die >Altersarbeitslosigkeit ansteigen lässt.
Die geplante Rentenreform wurde Mitte März 2023 am Parlament vorbei verabschiedet und tritt voraussichtlich am 1. September 2023 in Kraft.
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Resümee
Das Rentensystem in Frankreich ähnelt dem deutschen. Mit der Basisrente in der ersten Säule, einer berufsbezogenen Zusatzrente in der zweiten Säule und als drittes die private Vorsorge schafft Frankreich ein höheres Rentenniveau. Dies allerdings zu einem hohen Preis.
Die Tatsache, dass gleich zwei Säulen auf umlagefinanzierten Rentenbausteinen beruhen, sollte angesichts des demografischen Wandels und steigender Lebenserwartung die Frage aufwerfen, inwieweit das System langfristig nachhaltig ist. Auch hier werden Defizite mit Steuern gegenfinanziert.
Die private Vorsorge wird vermutlich auch in Frankreich an Bedeutung gewinnen. Mit der Reform versucht die Regierung zwar die Beiträge stabil zu halten und auf Rentenkürzungen zu verzichten. Doch wenn die neuen Regelungen nicht den gewünschten Effekt erzielen, kann es passieren, dass früher oder später auch daran gedreht wird.
Denn eines tut die Reform nicht: das Rentensystem von Frankreich an sich umzubauen.
Das nach Berufen unterteilte Sozialversicherungssystem inklusive der Rentenversicherung soll mit der Reform 2022/2023 teilweise aufgebrochen werden, um Privilegien einiger Berufsgruppen abzuschaffen und das System zu vereinheitlichen. Die 42 Rentenkassen sollen reduziert werden. Doch einem Umbau gleicht dies nicht.
Kern der Reform ist zudem auch die Anhebung des Renteneintrittsalters, das im Nachbarland zu heftigen Protesten geführt hat. Dabei handelt es sich um den frühestmöglichen Einstieg in den Ruhestand, der bisher ab 62 Jahren möglich war und auf 64 Jahre angehoben wird. Das reguläre Eintrittsalter ist 67 Jahre. Wie viel Spielraum besteht für künftige Reformen?
Dem Ziel der langfristigen Stabilität der Renten und Beiträge steht hier der Vorwurf der sozialen Ungerechtigkeit entgegen. Ob die Reform das Rentensystem nachhaltiger gestalten kann, bleibt abzuwarten.