Bereits seit 2012 wird über die generelle Rentenversicherungspflicht für Selbständige diskutiert. Damals unter der Federführung von >>Ursula von der Leyen.
Obwohl die damaligen Pläne im Sande verliefen, verschwand die Idee nie völlig. Spätestens seit 2019 ist die Rentenversicherungspflicht für Selbständige weit oben auf der politischen Agenda und wird vom Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil vorangetrieben.
Im Beitrag besprechen wir:
- Was ist das Ziel der Rentenversicherungspflicht für Selbständige?
- Was wird das Gesetz aus heutiger Sicht beinhalten?
- Wie sollten sich Selbständige jetzt verhalten?
Anstoß für den Beitrag ist, dass viele Versicherungsgesellschaften ihre Vertriebler bereits auf das Thema angesetzt haben und ich immer wieder auf die Rentenversicherungspflicht angesprochen werde.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Der aktuelle Stand der Gesetzesinitiative
- 2 Warum die Rentenversicherungspflicht für Selbständige kommen soll
- 3 Der wahrscheinliche Inhalt des Gesetzes
- 4 Kritik: Die Versicherungsgesellschaften lassen bereits die Korken knallen
- 5 Werden Selbständige finanziell ruiniert?
- 6 Die Versicherungspflicht als einmalige Chance – und wir werden sie verstreichen lassen
- 7 Was sollten Selbständige jetzt tun?
- 8 Resümee
Der aktuelle Stand der Gesetzesinitiative
Ursprünglich wollte Hubertus Heil bereits Ende 2019 einen Gesetzesentwurf zur Rentenversicherungspflicht vorlegen.
Der Entwurf verzögerte sich allerdings und Anfang 2020 betrat ein neuer Spieler das Feld, mit dem keiner gerechnet hatte:
Das Coronavirus.
Die Pandemie trifft viele Selbständige hart und hat die Prioritäten für den Moment verschoben. Auf der > Website der Bundesregierung (Stand: 11.11.2020) klingt das so:
„Die Bundesregierung will für Selbstständige eine existenzgründerfreundliche Altersvorsorgepflicht einführen. Ziel ist es, die Altersarmut in dieser Personengruppe zu senken. Grundsätzlich sollen Selbstständige in der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht einbezogen werden, jedoch mit der Möglichkeit, sich hiervon befreien zu lassen, wenn sie eine anderweitige geeignete Vorsorge nachweisen können.
Angesichts der durch die Corona-Pandemie insbesondere für Selbstständige entstandenen schwierigen wirtschaftlichen Lage wird derzeit überlegt, wie man diese Altersvorsorgepflicht für Selbstständige einbetten kann in ein Gesamtkonzept zur Förderung von Selbstständigen. Zwar zeigt auch und gerade die derzeitige Situation, wie wichtig eine sichere und verlässliche Altersversorgung für Selbstständige ist, andererseits muss sichergestellt sein, dass diese neue Altersvorsorgeverpflichtung auch von den hiervon Betroffenen angenommen wird.“
Aktuell ist also unklar, wie genau das Gesetz ausgestaltet sein wird und wann es tatsächlich kommt.
Warum die Rentenversicherungspflicht für Selbständige kommen soll
Von den Befürwortern der Initiative wird argumentiert, dass im Alter doppelt so viele Selbständige auf Grundsicherung angewiesen sind als das in der Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Fall ist. In > Zahlen sieht das so aus:
- 3,7 Prozent der direkt vor dem Ruhestand selbständig Tätigen bezieht im Alter Grundsicherung
- Bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sind es nur 1,8 Prozent
Was dabei oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass der Erwerbsstatus direkt vor der Renten nicht Repräsentativ für das gesamte Erwerbsleben ist. Wenn ich vor der Rente Selbständig war, kann ich trotzdem die überwiegende Zeit davor Angestellter gewesen sein. In der Grundsicherungs-Statistik zähle ich dann dennoch zu den Selbständigen.
Ganz unabhängig von den Zahlen finde ich es sinnvoll, wenn auch Selbständige zur Altersvorsorge angehalten werden. Allein die geplante Ausgestaltung bereitet mit Bauchschmerzen.
Der wahrscheinliche Inhalt des Gesetzes
Obwohl das Gesetz in seiner konkreten Ausgestaltung noch nicht auf dem Tisch liegt, lassen sich aus den bisherigen Diskussionen einige Eckpunkte ableiten:
- Selbständige werden in der Gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert
- Abgeleitet von den aktuellen Beitragssätzen bedeutet das: 18,6 Prozent des Einkommens werden bis zur Beitragsbemessungsgrenze an die Deutsche Rentenversicherung abgeführt
- Es wird voraussichtlich ein Opting-out geben. Wenn Selbständige eine anderweitig geeignete private Vorsorge nachweisen, können sie sich von der Versicherungspflicht befreien lassen
- Bei dieser „geeigneten privaten Vorsorge“ läuft aktuell alles auf die > Rürup-Rente hinaus. Diese bietet Insolvenzschutz und es sind keine Kapitalentnahmen möglich
- Für Selbständige, die zum Stichtag (Datum ungewiss) bereits ein gewisses Alter erreicht haben (vermutlich 45 oder 50 Jahre), gilt die Versicherungspflicht nicht
Kritik: Die Versicherungsgesellschaften lassen bereits die Korken knallen
Ich bin im Newsletter-Verteiler einiger Versicherer. Bereits seit 2019 erhalte ich auf diesem Kanal immer wieder Mails zur Rentenversicherungspflicht. Der Tenor:
Bereits jetzt vorbeugen und seine selbständigen Kunden mit einer Rürup-Rente beglücken.
Das lohnt sich vor allem für Vermittler und Versicherungsgesellschaften. Erst kürzlich hat mir eine Mandantin ein Angebot zum Abschluss einer Basisrente zur Prüfung auf den Tisch gelegt:
- Der monatliche Beitrag: 400 Euro/Monat
- Beitragszahldauer: 38 Jahre
- Abschlussprovision: 4.560 Euro
Das Angebot hat die Mandantin nach einem 30 minütigen Telefonat mit dem Vermittler erhalten. Rechnet man 30 Minuten für die Angebotserstellung hinzu, sind wir bei 4.560 Euro/Stunde. Kein schlechter Stundensatz für den Vermittler.
Auch die Versicherungsgesellschaft hat gut Lachen: Über die Laufzeit fallen Verwaltungskosten im fünfstelligen Bereich an. Dabei ist das Angebot bereits eines der günstigeren.
Aus diesem Blickwinkel ist es wenig überraschend, dass bereits vor dem Gesetzesentwurf Selbständige von Versicherungsvermittlern bedrängt werden, Rürup-Renten abzuschließen.
Die Versicherungslobby ist von den aktuellen Plänen begeistert. Es winkt ein Milliardengeschäft. Milliarden, die den Selbständigen in der Rente fehlen.
Werden Selbständige finanziell ruiniert?
Damit die Rentenversicherungspflicht Akzeptanz findet, ist es entscheidend, Selbständige durch die Beiträge nicht in Existenznot zu bringen. 18,6 Prozent vom Bruttoeinkommen ist für viele eine Hausnummer. Einen Arbeitgeber, der die Hälfte übernimmt, gibt es nicht.
Über diesen Punkt wird hinter den Kulissen viel diskutiert und ich bin zuversichtlich, dass man sinnvolle Regelungen findet. Beispielsweise wird es Ausnahmen für Gründer geben.
Eins ist aber klar:
Wer als Selbständiger oder Selbständige langfristig nicht in der Lage ist, Rentenbeiträge abzuführen, hat kein tragfähiges Geschäftsmodell.
Die Versicherungspflicht als einmalige Chance – und wir werden sie verstreichen lassen
Die Rentenversicherungspflicht für Selbständige ist die Chance, die Gesetzliche Rentenversicherung auf ein breiteres Fundament zu stellen. Das Opting-out ist aus meiner Sicht der falsche Weg. Vielmehr sollte die Gesetzliche Rentenversicherung für alle Selbständigen der einzige zugelassene Weg sein. Ansonsten fließen Milliarden an Vertragskosten in die Privatwirtschaft.
Ich selbst wäre von der Versicherungspflicht betroffen. Damit das Gesetz bei mir Akzeptanz findet, dürfen die zusätzlichen Beitragseinnahmen nicht ausschließlich in die Finanzierung der kürzlich eingeführten Grundrente und der heutigen Rentner fließen. Das würde die Finanzlage der Gesetzlichen Rente nur kurzfristig verbessern. Spätestens wenn wir Selbständige in Rente gehen, stehen wir vor den gleichen Finanzierungsproblemen wie heute.
Der Finanzküche-Vorschlag für eine nachhaltige Rentenfinanzierung
Vielmehr halte ich es für sinnvoll, die Beiträge von uns Selbständigen zu nutzen, um neben dem Umlageverfahren einen kapitalgedeckten Staatsfonds einzurichten. Dieser wird erst angezapft, wenn die ersten selbständigen Beitragszahler in Ruhestand gehen. Die Norweger haben es mit ihrem >>Pensionsfonds vorgemacht.
Ein solcher Staatsfonds hätte mehrere Vorteile:
- Die Gesetzliche Rente wird langfristig auf eine breitere Finanzierungsbasis gestellt
- Die Kombination aus Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren bietet maximale Risikostreuung
- Die Rentenversicherungspflicht gewinnt bei Selbständigen an Akzeptanz, da ihre Beiträge nicht dazu genutzt werden, kurzfristige Finanzierungslücken zu schließen
- Es wird verhindert, dass Milliarden Euro an Abschluss- und Verwaltungskosten in privaten Basisrenten versickern, was die den Renten der Selbständigen zu Gute kommt
Was sollten Selbständige jetzt tun?
Es ist völlig unklar, wie das finale Gesetz ausgestaltet ist und wann es kommt. Denkbar ist auch, dass das Thema wie 2012 wieder in der Versenkung verschwindet – wobei ich das dieses Mal für unwahrscheinlich halte.
Selbständige sollten jetzt Ruhe bewahren und abwarten, was für ein Gesetzesentwurf auf den Tisch gelegt wird. Vorher lässt sich ohnehin nicht sagen, was die ideale Reaktion ist.
Wenn du jetzt von Versicherungsvermittlern zum Abschluss einer Rürup-Rente gedrängt wirst, aufgrund eines noch nicht beschlossenen Gesetzes, solltest du Vorsicht walten lassen. Unterschreibe nur, wenn du zu 100 Prozent vom Angebot überzeugt bist.
Das sinnvollste ist, wenn du die Stimme erhebst. Wenn der Gesetzesentwurf nicht gut genug ist, muss nachgebessert werden. Fordere das ein – welchen Weg auch immer du dafür wählst. Mich überzeugen die aktuell diskutierten Vorschläge noch nicht.
Resümee
Die Rentenversicherungspflicht für Selbständige wird wahrscheinlich kommen. Da wir noch nichts genaues wissen, können aktuell keine Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, außer Ruhe zu bewahren und sich am politischen Diskurs zu beteiigen.
Für mich persönlich ist es nachvollziehbar, dass die Rentenversicherungspflicht kommen soll. Dadurch wird sichergestellt, dass noch mehr Selbständige ihren Ruhestand aus eigener Kraft finanzieren können. Allein die Ausgestaltung bereitet mir Kopfzerbrechen.
Ich möchte nicht:
- Das mit meinen Beiträgen Finanzlöcher in der Gesetzlichen Rentenversicherung gestopft werden
- Das hunderttausende Selbständige in private Rürup-Renten gedrängt werden.
Die Praxis zeigt, dass viele Basisrenten wenig zielführend sind.
Wenn das System nicht grundlegend geändert werden soll, könnte der Staat auch in Konkurrenz zur Privatwirtschaft treten und eine staatlich organisierte Rürup-Rente mit niedrigsten Kosten und einer effizienten Kapitalanalge anbieten. Wir Selbständige hätten dann die Wahl zwischen dem Umlageverfahren, der staatlichen Rürup-Rente und den Rürup-Renten der privaten Versicherer.
Am interessantesten finde ich aber die oben skizzierte Einrichtung eines Staatsfonds für alle Versicherten in Kombination mit dem aktuellen Umlageverfahren.
Was hältst du von der Rentenversicherungspflicht für Selbständige?
Dein Finanzkoch
Christoph Geiler
6 Kommentare
Servus, danke für den ausführlichen Artikel. Die Sache macht mir prinzipiell sorgen, vor allem weil die Alternativprodukte natürlich wieder Dinge wie Rürup sind, welche mit Gebühren und Provisionen belegt sind.
Weißt Du, wie in so einem Fall ein Nebengewerbe betroffen ist?
Zum Nebengewerbe habe ich bisher keine Informationen. Ich denke, wenn du in der Anstellung über der Beitragsbemessungsgrenze bist, könntest du auf der sicheren Seite sein. Aber auch hier wird es erst Gewissheit geben, wenn das Gesetz tatsächlich da ist.
Liebe Grüße
Christoph
Im Vorfeld: grundsätzlich bin ich ein Mensch, der eher gegen jeglichen Zwang eingestellt ist. Gerade, wenn man schon den „riskanteren Weg“ der Selbstständigkeit wählt für sein „Überleben“ sollte man auch etwas mehr Freiheit genießen dürfen. Sonst macht es bald keiner mehr, wo bleiben denn dann die Arbeitsplätze?…. Und jetzt zur privatwirtschaftlichen Versicherungs-Pflicht-Lösung: Der Versicherungswirtschaft könnte man als gute Idee im Rahmen der privaten „Rentenpflichtversicherung Rürup“ den Kontraktionszwang zu einer vernünftig kalkulierten BU mit ins Reisegepäck legen, denn in der GRV war bis 2001 die BU und ist heute (leider nur noch) zumindest der EU-Baustein ja enthalten. Man denke an die vielen Selbstständigen über 30, die eventuell schon Vorerkrankungen haben und keine BU oder nur eine mit Ausschlüsse, Zuschlägen…
Und die Prämienkalkulation müsste sich in Höhe der Risikogruppe der klassischen Büroberufe je Versicherer befinden laut fester Vorschrift, damit nicht wieder wie schon sonoft, wenn der Staatsprofi etwas in die Hände nimmt, nur Abschreckungsprämien kalkuliert werden. Früher ging’s doch auch mal mit drei Berufsgruppen in der Privatwirtschaft bei BU. Ausnahmen wären nur z.B. beim selbstständigen Sprengmeister erlaubt. Der Versicherungsgedanke an sich war ja mal früher von menschlicher Solidarität geprägt, was auch Sinn macht. Heute von stärker Segmentierung/ Risikoselektion, sprich Zersplitterung der ehemaligen VersichertenGEMEINschaft in immer mehr Berufsgruppen. Damit der Notar noch 40 Cent billiger wurde musste dann der Feuerwehrmann, der Altenpfleger und die Krankenschwester eben noch 30 Euro mehr zahlen und macht nun oft gar keine Versicherung mehr. Oder nur eine Grundfähigkeit bzw. ähnliches. Was fast auf das Gleiche hinausläuft wie keine. Segmentierung bis ans Ende gedacht würde bedeuten, dass jeder seine eigene individuell kalkulierte Versicherung hat, also sein persönliches Risiko selber trägt….finde den Fehler…stimmt, dann hätte er ja GAR KEINE Versicherung mehr ;-)). Das ist ja eigentlich Versicherung im Rückwärtsgang…
Selbstständigkeit muss irgendwo bei all den Verpflichtungen, Vorschriften usw. auch noch Vorteile genießen, denn wie sagte schon Otto W.: Arbeit geben ist seeliger als Arbeit nehmen ;-).
Ach ja, eine gute Alternative wäre es noch, wenn sich die Selbstständigen pflichtmäßig an die Versorgung der Beamten andocken würden. Dort gibt es wenigstens in Hinblick auf Regelungen und Versorgungshöhe noch eine recht faire Versorgung (nicht nur bei Erwerbsunfähigkeit usw.), auch die Pensionen spielen noch in sinnvollen Höhen. Da dieses Angebot gut wäre würde es wohl kaum jemanden geben, der dann die Rüruprente wählt…. und da es hier unter Umständen eine gute, sinnvolle Lösung wäre würden die Betroffenen von selber anstehen und müssten nicht mit dem nächsten Zwang irgendwo „hineingeprügelt“ werden. Übrigens so ähnlich, wie es bei den Versorgungswerken diverser Freiberufler auch nicht ist. Sind aber nur mal so Gedanken….und passt wohl nicht in die heutige Zeit. Und – kein Mensch hat vor, eine Mauer zu bauen ;-).
In diesem Sinne ein schönes Wochenende noch und Grüsse an Dein ganzes Team!
Hallo Alex,
eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu integrieren, wäre ein guter Ansatz. Ich vermute aber, dass die Risikosegmentierung dabei nicht zurückgedreht wird und das ganze durch die von dir genannten „Abschreckungsprämien“ ad absurdum geführt würde.
Ein eigenes Versorgungswerk für Selbständige wäre dagegen umsetzbar und ein spannender Weg, wenn man nicht grundsätzlich etwas an der Gesetzlichen Rentenversicherung ändern möchte.
Liebe Grüße zurück
Christoph
Danke für den interessanten Beitrag. Auch ich wäre von der Rentenversicherungspflicht betroffen. Deinen Vorschlag mit dem Staatsfonds fände ich hervorragend, dieser würde aber bedeuten, dass a) die Politik sich traut das KleinKlein der deutschen Rentenversicherung endlich grundlegend zu reformieren und b) sich gegen die Lobby der privaten Versicherungswirtschaft stellt. Beides halte ich leider für utopisch…
Hallo Florian,
deine Einschätzung teile ich leider … aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Vielleicht schafft es die Koalition zeitlich nicht mehr und das Projekt verläuft wieder im Sande. Das wäre besser als die aktuellen Vorschläge.
Liebe Grüße
Christoph