Japans Wirtschaft: Die katastrophale Entwicklung des Nikkei Index

Toyota, Sony, Canon. Wer kennt sie nicht. Japanische Großunternehmen, deren Produkte in die ganze Welt exportiert werden, die durch ihre effizienten Produktionsprozesse und modernen Managementkonzepte einen ausgezeichneten Ruf genießen.

Die Strahlkraft dieser Konzerne hinterließ bei mir den Eindruck eines wirtschaftlich blühenden Landes. Doch ein Blick auf verschiedene Zahlen verwirrte mich:

  • ein Aktienmarktindex, der den Stand von vor 30 Jahren noch nicht wieder erreicht hatte
  • ein geringes Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 1,2 Prozent zwischen 2010 und 2019
  • einer langen Deflationsphase trotz niedriger Zinsen

Irgendetwas passte hier für mich nicht zusammen. Also begab ich mich auf die Suche nach Erklärungsansätzen, um die japanische Wirtschaft besser verstehen zu können.

In 4 Artikeln verfolgen wir anhand des japanischen Leitindex wie es dem Land in den letzten 30 Jahren wirtschaftlich ergangen ist und welche Besonderheiten mit hinein spielen. Was können wir aus dieser Entwicklung lernen? Und wo steht Japan heute?

Eine japanische Stadt bei Nacht. Menschen laufen in kurzer Kleidung und mit Regenschirm durch die Straßen.

Die Entwicklung des Nikkei seit 1989

Das Diagramm gibt den Verlauf des Nikkei Index seit 1989 wider.
Quelle: onvista

Neben Kennzahlen wie Wirtschaftswachstum und Inflationsrate ist der Aktienindex eines Landes ein guter Indikator zur Einschätzung der wirtschaftlichen Lage. Er spiegelt die Entwicklung der Aktienpreise einer bestimmten Anzahl von Unternehmen wider. Vor allem aber kann er uns etwas über die Erwartungen der Marktteilnehmer und ihr Vertrauen in die Märkte verraten.

Sehen wir uns den japanischen Aktienindex Nikkei 225 an, springt uns sofort etwas ins Auge: Im Januar 1990 erreichte der Index sein Allzeithoch von knapp 39.000 Punkten; im April 2023 liegt er bei rund 28.500 Punkten. Auch nach über 30 Jahren liegt er noch deutlich unter dem damaligen Niveau. Wie kann das sein? Haben japanische und internationale Investoren ihr Vertrauen in die japanischen Märkte verloren? Was bedeutet das für diejenigen, die tatsächlich am Nikkei investiert waren und sind?

Bevor wir uns auf die Suche nach Antworten begeben, klären wir kurz, was der Nikkei eigentlich ist:

Wie der deutsche Dax ist der Nikkei ein Leitindex. Er misst die Entwicklung der Aktien von 225 japanischen Unternehmen, die an der Tokioter Börse gelistet sind. Diese Entwicklung wird in Punkte umgerechnet.

Im Gegensatz zum Dax ist der Nikkei ein Kursindex. Das bedeutet, dass Dividenden und andere Ausschüttungen nicht mit eingerechnet sind. Es werden allein die Preisänderungen der Aktien wiedergegeben. Dadurch liegt die Entwicklung von Kursindizes in der Regel unterhalb der Entwicklung ihres Gegenstücks, den Performanceindizes. Bei letzteren werden Ausschüttungen eingerechnet und im Zeitverlauf aufaddiert.

Wir können dem Nikkei also nicht entnehmen, welche Rendite Anlegerinnen und Anleger tatsächlich erhielten. Mittels eines >Preisrechners können wir uns jedoch anschauen, welche Gesamtrendite sich ergeben hat: Wer im November 1989 angefangen hat, in den Nikkei Index zu investieren hat bis heute einen Verlust von rund 26 Prozent gemacht (nicht inflationsbereinigt), wenn die Dividende nicht eingerechnet ist. Das sind im Schnitt pro Jahr 0,9 Prozent Verlust. Rechnen wir die Dividendenzahlungen dazu, kommen wir seitdem auf einen Gewinn von insgesamt 14,5 Prozent – im Schnitt 0,4 Prozent pro Jahr.

Im Gegensatz dazu hat der Dax eine deutlich positivere Entwicklung zurück gelegt: im gleichen Zeitraum legte der deutsche Index um insgesamt 860 Prozent zu (inklusive Dividenden), das sind im Schnitt 6,8 Prozent pro Jahr.

Deutschland und Japan haben beide durch Jahrezehnte ein „Wirtschaftswunder“ erfahren und sind im internationalen Vergleich bedeutende Wirtschaftsmächte. Wie lässt sich dieses Auseinanderklaffen also erklären?

Begeben wir uns nun auf Spurensuche, um zu verstehen, was damals passiert ist und was dies für uns heute bedeutet. Dafür reisen wir einige Jahrzehnte in die Vergangenheit.

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Japan im Aufschwung – 50er bis 80er Jahre

Am Ende des 2. Weltkriegs lag Japans Wirtschaft am Boden. Die anschließende Besatzung durch die Alliierten bis zu Beginn der 50er Jahre sorgte dafür, dass die zerstörte Kriegsindustrie fast vollständig in eine zivile Industrie umgewandelt wurde. Die großen Industriekonglomerate (zaibatsu) wurden aufgelöst und das Land in das wirtschaftliche Geflecht des Westens eingebunden.

In den 50er Jahren versuchte sich Japan an planwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, bevor es davon wieder abließ und ab den 60ern ein Wirtschaftswunder ähnlich der damaligen BRD erlebte. Die Wirtschaft wurde von den USA unterstützt, um einen stabilen Anker gegen den Kommunismus im südostasiatischen Raum zu haben.

Japan importierte Technologien aus den USA und fand dort zugleich Absatz für seine Exporte. In dem Jahrzehnt lag das Wirtschaftswachstum im Schnitt bei ungefähr >10 Prozent. Dann kam die Ölkrise 1973 und das Wirtschaftswachstum ging zurück auf im Schnitt 4 Prozent und hielt sich auch während der 80er Jahre auf diesem Niveau.

Auch die Entwicklung des Nikkei spiegelt dies wieder. 1950 wurde er zum ersten Mal veröffentlicht, ließ ab 1960 die 1.000-Punkte-Marke hinter sich und schloss Anfang 1978 mit 5.360 Punkten. Jährlich wuchs er im Durchschnitt 10 Prozent. Mit Dividendenausschüttungen waren es sogar 14 Prozent.

Soweit so „normal“. Was dann jedoch geschah, hat die Wirtschaft Japans nachhaltig geprägt und beschäftigt die Politik und Wirtschaft noch heute.

Die Blase wächst – Mitte 80er

Mitte der 80er Jahre geschieht Folgendes: Im Plaza-Abkommen von 1985 vereinbaren unter anderem Japan und die USA, den Dollar ab- und den Yen aufzuwerten, um Handelsbilanzdefizite auszugleichen. Die Aufwertung des Yen hatte zur Folge, dass mehr und mehr Kapital ins Land floss und sowohl den Aktien- als auch den Immobilienmarkt beflügelte.

Seit Anfang der 80er Jahre gibt es zudem einen kleinen Boom im Finanzbereich. Japanische Unternehmen optimieren ihre Finanzierungsmittel und spekulieren an der Börse. Sie geben Optionsanleihen heraus. Das eingenommene Geld wird in Aktien investiert oder bei Banken zu einem garantierten Zins von >8 Prozent deponiert. Mehr als die Hälfte der Gewinne großer Unternehmen wird so erwirtschaftet.

Die Nachfrage lässt die Aktienkurse steigen, und Profite und Kurse schaukeln sich gegenseitig hoch. Ende 1985 liegt der Nikkei Index bei rund >13.000 Punkten. Seinen Höchststand erreicht er Ende 1989 mit mehr als 38.000 Punkten. Die Wirtschaft läuft heiß.

In diesen 4 Jahren machen Anleger und professionelle Investoren jährlich im Schnitt einen Gewinn von >30,88 Prozent. Die Dividende mit eingerechnet liegen sie sogar bei 31,86 Prozent.

Um ihre Gewinne zu steigern, investieren Unternehmen in den wachsenden Immobilienmarkt. Das zieht weitere Spekulanten an. 1986 hatte die japanische Notenbank den Leitzins von 6 auf 3 Prozent gesenkt, um eine Rezession zu verhindern. Das ermöglichte es den Unternehmen und Investoren sich leichter refinanzieren zu können und sie nehmen für ihre Investitionen mehr Kredite auf.

Als Sicherheiten hinterlegen sie Grundstücke und Immobilien, die um ein Vielfaches im Wert gestiegen sind. Eine gründliche Risikoprüfung seitens der Banken bleibt aus. Als es 1987 zu einem globalen Crash an den Finanzmärkten kommt, weist das japanische Finanzministerium die Banken an, den Aktienindex zu stützen. Doch das Ende lässt nicht lange auf sich warten.

Die Blase platzt – 1989/90

1989 wird Yasushi Mieno an die Spitze der Notenbank gesetzt. Dieser setzt sich als Ziel die Spekulation zu beenden und die heißgelaufenen Märkte wieder herunter zu kühlen. Schrittweise erhöht er den Leitzins bis August 1990 auf 6 Prozent.

Die Blase platzt. Der Nikkei sinkt bis Mitte 1992 auf auf rund 15.000 Punkte. Grundstücks- und Immobilienpreise sinken teilweise auf >die Hälfte. Die Profite der Unternehmen sinken, Kredite können nicht mehr bedient werden und der Wert der hinterlegten Sicherheiten bricht ein.

Die Blase offenbart jedoch nicht nur das Ausmaß der Spekulation, sondern auch die strukturellen und regulatorischen Missstände und Ineffizienzen der japanischen Wirtschaft, die sich auch durch die 90er Jahre ziehen.

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Resümee

Ohne die Blase hätte es diesen Höchststand des Nikkei von über 38.000 Punkten womöglich nicht gegeben. Die Aktien und Immobilien waren heillos überbewertet und trieben gleichzeitig die Gewinne der Unternehmen in die Höhe. Es war zwar nur von kurzer Dauer, doch es reichte aus, um Anlegern immense Verluste zu bescheren und die Wirtschaft Japans in die Krise zu stürzen.

Bei einem solch extremen Anwachsen der Kurse ist es nicht verwunderlich, dass Japan auch in den darauf folgenden Jahren nicht wieder an diese Kurse anschließen konnte.

In der nächsten Folge dieser Artikelreihe beschäftigen wir uns mit der Wirtschafts Japans in den 90er Jahren.

  • Wie ging es weiter mit der Entwicklung des Nikkei?
  • Welches Wirtschaftssystem hat Japan?
  • Wie arbeiten die Unternehmen?
  • Und wie geht es den Banken in dieser Krise?

Oft wird in diesem Zusammenhang vom „Verlorenen „Jahrzehnt gesprochen und wir schauen uns an, warum das so ist.

Portrait vom Autor dieses Artikels
Über Birgit Hünniger

Ich bin Finanzberaterin und unterstütze die Finanzküche bei ihrer operativen und visionären Arbeit. Meine Aufgabenbereiche sind die Führung von Beratungsgesprächen inkl. Vor- und Nachbereitung, sowie die Erstellung von Beiträgen für Blog und Newsletter.