Lange galt sie als bezwungen, doch sie ist wieder da: die Inflation. Seit Mitte 2021 schreiten die Preise kontinuierlich in großen Schritten voran. Trotz optimistischer Prognosen einiger Experten, dass der deutliche Anstieg des Preisniveaus nur ein vorübergehendes Ereignis ist, scheint es eher so als würde die Inflation in Deutschland vorerst bleiben.
Inhaltsverzeichnis
Im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung Deutschlands hat vor allem die Hyperinflation von 1923 einen prominenten Platz und verursacht bei dem ein oder anderen ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Doch sollten wir nicht zu voreilig sein bei der Bewertung und Prognose der aktuellen Situation. Jede Inflation ist anders. Die spezifischen gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse eines Landes und Einflussfaktoren über die Landesgrenzen hinaus haben Einfluss auf die Entwicklung. Vergangene Inflationsphasen helfen uns bei der Einordnung, doch bieten sie allenfalls Anhaltspunkte zum Umgang und Überwindung der Lage.
Daher werde ich mich im Artikel größtenteils von der Geschichte loslösen. Viel wichtiger finde ich, eine Grundlage für das Verständnis von Inflation im Allgemeinen zu schaffen und dieses mit den besonderen Aspekten unserer heutigen Zeit zu verknüpfen.
Dabei konzentriere ich mich auf die Ursachen, Berechnung und Auswirkungen von Inflation und werde die Komplexität der wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen auf die wichtigsten Zusammenhänge reduzieren.
Was ist Inflation?
Inflation bedeutet ganz allgemein die Erhöhung des Preisniveaus. Damit einher geht die Entwertung des Geldes und der Verlust der Kaufkraft. Wenn die Preise stetig steigen, kann ich mir von meinem bisherigen Gehalt weniger kaufen als zuvor. Die Preissteigerung vereinzelter Produkte macht noch keine Inflation. Höhere Preise in einer Gütergruppe können durch Preissenkungen in einer anderen Gütergruppe ausgeglichen werden. Erst wenn sich die Preissteigerung durch so viele Produkte und Gütergruppen zieht, dass der Warenkorb eines Durchschnittskonsumenten im Preis steigt, handelt es sich um Inflation.
Wie eingangs beschrieben, beherrschen Inflationen des vergangenen Jahrhunderts noch immer das allgemeine Bewusstsein, doch Inflationen gab es bereits in der Antike. Im Römischen Reich entsprach zunächst der Wert einer Münzen dem Wert ihres Materials. Um Geld in die Staatskassen zu füllen, sparte man bei der Produktion an wertvollen Metallen wie Gold, Silber, Kupfer oder Messing. Der Rest wurde mit minderwertigen Metallen aufgefüllt oder es wurden kleinere Münzen produziert. So wurden zu Zeiten Kaiser Augustus (31 v. Chr. Bis 14 n. Chr.) mit einem Pfund Silber knapp >85 Denare produziert. Unter Kaiser Servus Alexander (222 bis 235 n. Chr.) wurden knapp 227 Denare mit einem Pfund Silber produziert.
Einige Kaiser erhöhten aber auch die Menge der Münzen, die in Umlauf waren. Augustus brachte pro Regierungsjahr im Schnitt 18 Millionen Sesterzen als Sonderzahlungen und Geschenke an die Bevölkerung in Umlauf. Servus Alexanders Vorgänger Elagabal 226 Millionen Sesterzen. Dadurch stiegen die Preise und die Lebenshaltung wurde immer teurer. Auch hier kann man komplexe Auswirkungen auf die Bevölkerung und Reaktionen der Politik beobachten. Soldaten forderten bspw., ihren Lohn in Grund und Boden statt in Münzen zu erhalten. Auf der anderen Seite bemühte sich die Regierung um Währungsstabilisierung, setzte Höchstpreise für bestimmte Güter und Höchstlöhne für bestimmte Dienstleistungen fest. Die Wirtschaftszusammenhänge der Antike waren bereits sehr komplex und es ist fraglich, welche Maßnahmen welche Erfolge brachten.
Dieses Beispiel zeigt wie unterschiedlich die Ursachen und Auswirkungen einer Inflation sein können.
Trotz vieler gemeinsamer Merkmale ist jedes Inflationsereignis einzigartig und es gibt kein Pauschalrezept zur Bewältigung.
Bevor wir uns genauer der derzeitigen Inflation widmen und um sie besser einordnen zu können, werfen wir einen kleinen Blick in die Theorie.
Ursachen von Inflation
Inflationen können unterschiedliche Ursachen haben, die teils miteinander verknüpft sind. In der Theorie haben sich grob vier mögliche Ursachenerklärungen etabliert¹:
1. Geldmengeninflation – Monetäre Theorien
Innerhalb der monetären Theorien bestimmt die Geldmenge den Geldwert. Dehnt sich die Geldmenge so stark aus, dass die reale Produktion von Gütern und Leistungen nicht hinterher kommt, entsteht Inflation – der Geldwert nimmt ab. Die Steuerung und Überwachung der Geldmenge ist Aufgabe der Europäischen Zentralbank (EZB), die die Stabilität des Euro als oberstes Ziel hat.
2. Nachfrageinflation
Bei einer Nachfrageinflation entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot von Gütern. Die Nachfrage nimmt übermäßig zu. Das kann zum Beispiel durch einen stark ansteigenden privaten Konsum verursacht werden. Können die Unternehmen ihre Produktionskapazitäten nicht erweitern, steigen die Preise dieser Konsumgüter.
3. Angebotsinflation
Wenn die Produktionskosten von Unternehmen stark ansteigen, kann es zu einer Angebotsinflation kommen. Die Gründe für einen solchen Anstieg liegen beispielsweise in höheren Lohnkosten oder steigenden Rohstoffpreisen. Bei starken Anstiegen werden die Kosten an die Verbraucher weiter gegeben – die Preise steigen.
4. Importierte Inflation
In unserer globalisierten Welt sind auch die Volkswirtschaften mehr oder weniger über Import und Export von Kapital und Gütern miteinander verknüpft. Konjunkturschwankungen in einem Staat können schwerwiegende Auswirkungen auf einen anderen Staat haben, die sich beispielsweise in Änderungen der Wechselkurse oder Weltmarktpreise bemerkbar machen. Ein Anstieg der Weltmarktpreise kann das Preisniveau im Inland nach oben treiben.
Ist Corona Schuld an der Inflation?
In der Realität kommt es häufig vor, dass es nicht nur eine Ursache für den Anstieg des Preisniveaus gibt. Meist hängen mehrere Ursachen miteinander zusammen beziehungsweise bedingen sich gegenseitig.
Die Inflationsphase 2021/22 ist ein Ursachenmix aus Nachfrage- und Angebotsinflation. Auf der einen Seite haben wir ein knapper werdendes Angebot, das durch Lieferengpässe und steigende Preise für Rohstoffe und Energie bedingt sind. Dem steht eine in Teilen gewachsene Nachfrage gegenüber.
Die Corona-Pandemie löste eine weltweite Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung aus. Die folgende Anpassung der Produktionspläne führte dazu, dass Betriebe über viele Branchen hinweg ihr Produktions- und Transportkapazitäten herunterfuhren. Auf der anderen Seite verschob sich die Konsumstruktur. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens führten dazu, dass Konsumenten weniger Dienstleistungen in Anspruch nahmen und ihren Konsum auf langlebige Produkte (wie Elektronikartikel oder Möbel) übertrugen.
Dies setzte einen Konjunkturaufschwung in Gang, der die Nachfrage weiter ansteigen ließ. Bereits bestehende pandemiebedingte Lieferengpässe machten sich noch stärker bemerkbar. Die Havarie des Containerschiffs Evergiven im Suezkanal im März 2021 brachte zusätzliche Lieferprobleme. Diese ziehen sich durch die gesamte Lieferkette, d.h. sowohl Vorprodukte als auch Endprodukte sind betroffen. Denn eine erhöhte Nachfrage nach Endprodukten verursacht eine erhöhte Nachfrage nach Vorleistungen, deren Preise daraufhin steigen. Auf die höheren Produktionskosten reagieren Unternehmen zum Beispiel mit einer Ausweitung ihrer Produktionskapazitäten, um Skaleneffekte zu erreichen.
Skaleneffekte bedeutet, dass mit einer höheren Produktion die Stückkosten eines Produktes sinken und somit der Gewinn entsprechend steigt.
Zum Teil reagieren Unternehmen auch mit Preissteigerungen ihrer Produkte, sodass Angebot und Nachfrage wieder in ein Gleichgewicht kommen.
Durch die Pandemie kam es jedoch zu schnellen Verschiebungen in den weltweiten Wertschöpfungsketten. Die Vorleistungsgürterindustrie kam mit der schnell einsetzenden hohen Nachfrage nicht hinterher, auch weil die Umstellung von Produktionsplänen eine gewisse Vorlaufzeit benötigt. Die Folge sind >Lieferengpässe, die durch Einschränkungen von Transportkapazitäten weiter verschärft werden.
CO2-Abgabe: Gewollte Preissteigerungen bei fossilen Energieträgern
Auf Angebotsseite kam es unter anderem durch die CO2-Abgabe zu deutlichen Preissteigerungen. Vor 2021 mussten CO2-intensive Unternehmen und Industriezweige die Abgabe zahlen. Seit dem 1. Januar 2021 gibt es eine flächendeckende, allgemeine CO2-Abgabe, die auf Benzin, Diesel, Heizöl und Gas gezahlt werden muss. Sie betrug zunächst 25 Euro pro Tonne CO2; 2022 ist sie auf 30 Euro gestiegen und soll 2025 bei 55 Euro pro Tonne liegen.
Diese Kostensteigerungen werden an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiter gegeben mit der Folge, dass beispielsweise das Tanken und Heizen deutlich teurer werden. Hinzu kommt der von der CO2-Steuer unabhängig steigende Rohölpreis. Im April 2020 brach der Preis pandemiebedingt stark ein. Mit der wirtschaftlichen Erholung und steigenden Nachfrage ist der Preisanstieg seit 2021 deutlich spürbar. Da sich die Preisveränderungen auf ein sehr niedriges Preisniveau beziehen, macht sich ein sogenannter Basiseffekt bemerkbar (dem Basiseffekt widmen wir uns weiter unten), die die Inflationsrate in die Höhe treibt.
Der Ukraine-Krieg treibt die Preise weiter
Mit Ausbruch des Ukrainekrieges im Februar 2022 hat sich die Lage noch einmal verschärft. Die Gas- und Öllieferungen aus Russland wurden stark heruntergefahren. Die hohe Abhängigkeit von diesen Rohstoffen für Strom und Heizen könnte langfristig zu Versorgungsengpässen führen. Da eine Umstellung auf andere Gaslieferanten und der Ausbau erneuerbarer Energien kurzfristig nicht möglich ist, treiben die wachsende Nachfrage nach Alternativen und die knapper werdenden Rohstofflieferungen die Preise für Gas und Öl in die Höhe. Das treibt die Inflation zusätzlich an.
Wie wir sehen können wird das steigende Preisniveau der aktuellen Inflation in Deutschland durch ein Zusammenspiel aus erhöhter Nachfrage in einzelnen Segmenten gepaart mit Materialknappheit und steigenden Energiepreisen, die von den Unternehmen an die Kunden weiter gegeben werden, in die Höhe getrieben. In der Folge steigen nicht nur die Preise für Benzin und Öl, sondern für alle Produkte, zu deren Herstellung Energie notwendig ist.
Und was ist mit der Geldmenge?
Viele vermuten, dass die Ausweitung der Geldmenge die initiale Zündung zur Inflation 2021 gab und dies ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Seit der Finanzkrise 2008 und noch einmal verstärkt seit Beginn 2020 erhöhte die EZB ihre Bilanzsumme durch den Ankauf von Anleihen. Im Januar 2020 betrug das >Volumen der Anleihen 2,6 Billionen Euro, im März 2022 4,7 Billionen Euro. Zum Vergleich: das Bruttoinlandsprodukt von Deutschland betrug 2021 >3,57 Billionen Euro.
In der Theorie wird davon ausgegangen, dass eine Erhöhung der Geldmenge zu einer Erhöhung der Kreditvergabe durch die Geschäftsbanken führt. In der Folge steigt die Gesamtwirtschaftliche Nachfrage und daraufhin auch das Preisniveau. Ob eine Erhöhung der Geldmenge zwangsweise zu einer Inflation führt ist jedoch fraglich. Beispielsweise lagen die Konsumausgaben der privaten Haushalte 2021 >5 Prozentpunkte unter dem Stand von 2019, also vor der Krise. Die private Nachfrage stieg im Bereich langlebige Güter (wie Technik) und sank im Bereich Dienstleistungen.
Dies passt eher zu der Einschätzung, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Geldmenge und der Inflation gibt². Was man stattdessen in der Vergangenheit beobachten konnte, war, dass die Entwicklung der Geldmenge mit der Entwicklung von Einkommen, Ersparnissen und Investitionen korrelierte. Erkenntnisse über die Preisentwicklung würde dies nicht bieten.
Berechnung der Inflationsrate – Ein Durchschnittsbürger kauft ein
Um die Geldwertentwicklung beurteilen und die Höhe der Inflationsrate ermitteln zu können, wird der sogenannte Verbraucherpreisindex (VPI) herangezogen. Dieser misst die durchschnittliche Preisentwicklung aller Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte für Konsumzwecke kaufen und basiert auf einem Warenkorb, der 650 Güterarten umfasst. Dazu gehören zum Beispiel Nahrungsmittel, Mieten, Reinigungsdienstleistungen und so weiter. Die einzelnen Güter werden dann entsprechend ihres Ausgabenanteils, den die privaten Haushalte dafür ausgeben, gewichtet.
Sollte ein Gut gar nicht mehr konsumiert werden, fällt es aus dem VPI raus. Auch saisonale oder temporäre Preisausfälle – wie bei Obst und Gemüse oder durch Geschäftsschließungen infolge von Katastrophen – werden entsprechend im Index berücksichtigt.
Der VPI dient außerdem der Orientierung bei Lohnverhandlungen und fließt in die Berechnung des Wirtschaftswachstums ein.
Die Veränderung des Verbraucherpreisindex zum Vorjahresmonat beziehungsweise zum Vorjahr bezeichnen wir als Inflationsrate (auch negative Inflationsraten sind möglich).
Daneben berechnet das Statistische Bundesamt den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI), der die Preisentwicklungen vor allem international vergleichbar machen soll. Aufgrund der teilweise unterschiedlichen Erfassung und Methodik können die errechneten Kenngrößen voneinander abweichen. Der HVPI wird von der EZB herangezogen, um die Inflation auf EU-Ebene zu berechnen.
Individuelle Inflationsraten
Bei diesen allgemeinen Kennzahlen und umfassenden Warenkörben sollten wir nicht vergessen, dass die Inflation eine zutiefst persönliche Erfahrung darstellt. Die Gewichtung der Güter gibt einen Hinweis darauf, wofür private Haushalte im Durchschnitt am meisten Geld ausgeben. Sie sagt aber nichts über das individuelle Konsumverhalten aus. Dadurch gehen im Alltag die Wahrnehmungen bezüglich der (gefühlten) Höhe der Inflation teils deutlich auseinander³.
In einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft hat man versucht, diesem Umstand Rechnung zu tragen und ausgerechnet, wie hoch die Inflationsrate zwischen Januar 1995 und August 2021 in unterschiedlichen Einkommensgruppen ausfiel. Die monatlichen Nettoeinkommen der Haushalte für diesen Zeitraum wurden in acht Einkommensgruppen unterteilt (von Einkommen unter 900 Euro pro Monat bis Einkommen über 5.000 Euro).
Die Berechnung der Inflationsrate ergab für die unterste Einkommensgruppe 6,6 Prozent, für die oberste 5,5 Prozent.
Der Grund für diesen Unterschied liegt in der unterschiedlichen Konsumstruktur, die mit einem sich ändernden Einkommen einhergeht. Beispielsweise geben reichere Haushalte tendenziell einen größeren Anteil ihres Budgets für Elektronikprodukte aus, die seit Mitte der 1990er Jahre >deutlich günstiger geworden sind.
Die Inflationsrate in konkreten Zahlen
Laut Statistischem Bundesamt betrug die durchschnittliche Inflationsrate des gesamten Jahres 2021 gegenüber dem Vorjahr >3,1 Prozent gemessen am VPI, obwohl sie erst ab Mitte des Jahres deutlich zu steigen begann. Zum Vergleich: die Inflationsrate 2020 betrug gegenüber 2019 gerade einmal >0,5 Prozent. Und während im >Januar 2021 die Inflationsrate bei 1,0 Prozent zum Vorjahresmonat bzw. 0,8 Prozent zum Vormonat betrug, kletterten die Zahlen im >Dezember 2021 auf 5,3 Prozent zum Vorjahresmonat und 0,5 Prozent zum Vormonat. Im >März 2022 – über einem Monat nach Ausbruch des Krieges – lag die Inflationsrate bei 7,3 Prozent zum Vorjahresmonat und 2,5 Prozent zum Vormonat.
Zu den Zahlen gibt es einiges zu sagen. Fangen wir damit an, den deutlichen Anstieg der Inflationsrate zur Jahresmitte 2021 zu erklären. Hier zeigen sich sogenannte Basiseffekte.
Basiseffekte zeigen sich, wenn die Veränderungsraten einer Messung (Inflationsrate) verzerrt ausfallen, weil die dazu gehörigen Basiswerte (Warenkorb) besonders hoch oder niedrig sind.
In diesem Falle führte die Senkung der Mehrwertsteuer Mitte 2020 zu einem niedrigen Basiswert, ebenso der gefallene Preis für Mineralöl. Die Heraufsetzung der Mehrwertsteuer ab Januar 2021 und die steigenden Mineralölpreise spiegeln sich in verzerrten Inflationsraten wieder, welche sich auf die ungewöhnlich niedrige Basis beziehen.
Hieraus wurde zwischenzeitlich der Schluss gezogen, dass die Inflation ein vorübergehendes Phänomen sein würde und sich ab 2022 die Inflationsraten wieder normalisieren würden. Ob dies ohne den Ukrainekonflikt eingetroffen wäre, bleibt fraglich, da trotz Wegfall der Basiseffekte auch im Januar die Inflationsrate hoch war.
Wie im Abschnitt über die Inflationsursachen beschrieben, kommen zusätzliche Preistreiber hinzu. Mit den steigenden Energiepreisen (ausgelöst durch die CO2-Steuer und die erhöhte Nachfrage gepaart mit Lieferengpässen) kommt es nicht nur in einzelnen Segmenten zu Preiserhöhungen. Betroffen sind alle Produktionsstufen und Wirtschaftsbereiche, in denen Energie notwendig ist und deren steigende Kosten als Preiserhöhungen an Kunden weiter gegeben werden. Momentan spüren wir dies besonders in den Bereichen Wohnen und Elektronik. Aber auch bei Nahrungsmitteln werden die Erhöhungen deutlich spürbar. Der Krieg im Osten Europas führt hier zu einer weiteren Verschärfung.
Auswirkungen – Chancen und Risiken
Wenn eine Inflation in Gang gekommen ist und das Preisniveau steigt, hat dies weitreichende Auswirkungen. Anhand der ökonomischen Größen Einkommen, Vermögen und Schulden sind vor allem Umverteilungseffekte beobachtbar. Wenn der Wert des Geldes sinkt, spüren wir das deutlich beim Einkaufen. Aber auch in anderen Bereichen löst Inflation ökonomische Prozesse aus.
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Wer profitiert? Wer verliert?
Wie sich Einkommen und Vermögen verhalten und neu verteilen, lässt sich beurteilen, wenn wir uns die folgenden Bereiche anschauen:
- Lohn
- Zinsen
- Transferzahlungen
- Sachwerte
Droht eine Lohn-Preis-Spirale?
Steigen die Preise an, folgen die Löhne zeitversetzt. Lohnempfänger verlieren zunächst bei einer Inflation, da die Kaufkraft ihres Lohns schwindet. Wenn dies geschieht, fordern Gewerkschaften meist entsprechende Lohnanpassungen. Steigt der Lohn dann jedoch zu stark, ohne dass es zu Produktivitätssteigerungen kommt, wachsen die Produktionskosten und die Unternehmen reagieren mit weiteren Preissteigerungen.
Dieses gegenseitige Hochschaukeln von Lohn und Preisen wird auch als Lohn-Preis-Spirale bezeichnet. Viele Ökonomen warnen daher vor (zu starken) Lohnsteigerungen. Bei vergangenen Inflationsperioden spielte die Lohn-Preis-Spirale sicher immer mal eine Rolle; wie real diese Gefahr grundsätzlich ist, bleibt unklar. Denn dazu müssten in sehr vielen Bereichen die Löhne um ein bestimmtes Maß steigen und alle Unternehmen mit Preissteigerungen reagieren.
Auch aktuell warnen viele Experten vor einer Lohn-Preis-Spirale. Einige Gewerkschaften haben bereits Lohnerhöhungen durchsetzen können, andere Tarifrunden stehen in den nächsten Monaten an. Auf der anderen Seite argumentieren Experten, dass die Gewerkschaften schon seit einigen Jahren eine verantwortungsvolle Lohnpolitik fahren und überzogene Lohnerwartungen >unrealistisch seien.
Im 4. Quartal 2021 gab es bereits Tarifrunden mit Lohnerhöhungen. Beispielsweise errang die Gewerkschaft Verdi ein Plus von 3 Prozent, was zwar höher als die Zielinflation von 2 Prozent ist, aber auch geringer als die aktuelle Inflation, die noch immer bei circa 5 Prozent liegt. Der Tarifvertrag gilt zudem für 24 Monate mit einer weiteren Erhöhung von 1,7 Prozent im Frühjahr und mehreren Nullmonaten. Ähnliches gilt für den Öffentlichen Dienst, für den eine Lohnerhöhung von 2,8 Prozent ausgehandelt wurde. Die IG Bau handelte dagegen eine Lohnerhöhung von 6,2 Prozent im Westen und 8,5 Prozent im Osten aus. Der Vertrag gilt jedoch bis März 2024 und betrifft „nur“ ca. >eine Million Beschäftigte. In 2022 wird unter anderem die IG Metall neue Tarifrunden führen, hat jedoch bereits geäußert, dass sie sich an die Zielinflationsrate von 2 Prozent halten wird.
Die für das zweite Quartal 2022 errechnete Lohnentwicklung zeigt eine Erhöhung der Nominallöhne im Schnitt um 2,9 Prozent. Das bedeutet, dass die Reallöhne um >4,4 Prozent gesunken sind.
Auch die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro könnte sich in der Inflationsrate bemerkbar machen. Ein großer Teil der Unternehmen plant laut einer >ifo-Umfrage die höheren Lohnkosten an die Verbraucher weiter zu geben. Laut >Böckler Stiftung wird dies jedoch nur einen geringen Effekt von 0,25 Prozentpunkten auf die Inflationsrate haben.
Beim Fachkräftemangel sieht es etwas anders aus. Der Wettbewerb um Bewerberinnen und Bewerber wird über die Höhe des Gehalts geführt. Es gibt erste Berichte über Tech-Unternehmen in München, die planen, Fachkräfte mit Gehaltssteigerungen von über >10 Prozent anzulocken.
Nach flächendeckenden überhöhten Lohnsteigerungen sieht es demnach nicht aus; die Auswirkungen der Lohnpolitik einzelner Unternehmen und Gewerkschaften auf eine mögliche – vielleicht auch „sanfte“ – Lohn-Preis-Spirale sollten jedoch nicht unterschätzt werden. Eine große Rolle dabei spielen die Inflationserwartungen von Arbeitnehmern und -gebern.
Das Spiel mit den Zinsen
Zinsen haben vor allem für Vermögen und Schulden eine Bedeutung. In Bezug auf das Vermögen bedeuten Zinsen einen Ertrag. Übersteigt die Inflationsrate jedoch den Vermögenszinssatz bedeutet dies einen realen Verlust des Geldvermögens. Dies hat vor allem für Sparer negative Auswirkungen. Schuldner dagegen können zu den „Gewinnern“ der Inflation gehören.
Da Schulden dem Nominalwertprinzip unterliegen – der nominale Betrag der Schulden bleibt gleich – können Schuldner profitieren, wenn deren Einkommen inflationsbedingt nominal wächst. Dies bleibt so lange möglich wie die Zinslücke nicht geschlossen wird. Das bedeutet, dass Zinsen bei einer Inflation zeitverzögert steigen (etwa durch Anhebung des Leitzins durch die Notenbanken).
Der Leitzins ist der Zinssatz, zu dem Geschäftsbanken mit der Zentralbank eines Währungsgebiets Geschäfte abschließen können (zum Beispiel Geld leihen). Damit beeinflusst der Leitzins auch weitere Zinsarten wie Darlehenszinsen, die von Geschäftsbanken an private Kreditnehmer vergeben werden.
Diese Lücke können Schuldner für sich nutzen. Sobald die Lücke geschlossen ist, haben Sparer und Gläubiger wieder die Möglichkeit, ihren Geldwertverlust auszugleichen (außer die Zinsen von Schulden und Vermögen sind langfristig festgeschrieben).
Nachdem die EZB nur sehr zögerlich die Zinsen im Juli 2022 auf 0,5 Prozent anhob, hat die Europäische Notenbank noch einmal nachjustiert und die Leitzinsen auf >1,25 Prozent gesteigert. Das zögerliche Vorgehen hat verschiedene Gründe. Auch gehen die Meinungen dazu auseinander, ob die Zinsen überhaupt erhöht werden sollten.
Befürworter der Zinsanhebung weisen darauf hin, dass die Leitzinsen zu dem Zweck gesenkt wurden, die Wirtschaft nach der Finanzkrise 2007/08 zu stärken. Niedrige Zinsen sollten Konsum und Investitionen fördern, um die Krise zu überwinden. Da 2021/22 kein Mangel an Nachfrage, sondern im Gegenteil eine überhöhte Nachfrage herrscht, >soll eine Zinserhöhung hier gegensteuern.
Gegen eine Zinserhöhung spricht, dass Schuldner im Allgemeinen von einer Inflation profitieren, da der Wert ihrer Schulden abnimmt. Und da die EZB als Notenbank der gesamten Eurozone fungiert, muss sie auch Rücksicht auf einzelne Länder nehmen. In diesem Falle wirkt sich die Inflation positiv auf hochverschuldete Länder wie Griechenland oder Italien aus. Eine Erhöhung des Leitzinses könnte die Lage dieser Länder deutlich verschlechtern.
Zudem haben wir es nur mit einer teilweise erhöhten Nachfrage zu tun. Eine Zinserhöhung wirkt jedoch ungenau und wird sich auf die gesamte Nachfrage auswirken. Dies könnte den gesamten Wirtschaftskreislauf zum Stocken bringen.
Im Gegensatz zur EZB hat die US-amerikanische Fed ihre Zinsen ab März 2022 erhöht. Im Juli 2022 liegt der Leitzins bei 2,25 bis 2,5 Prozent. Diese Zinsgefälle haben Auswirkungen auf die Wechselkurse und auch auf bestimmte Zinsarten. Nachdem die Fed gegen Ende 2021 ankündigte, ihre Zinsen zu erhöhen, stieg auch der Wert des Dollars gegenüber dem Euro. Für global aufgestellte Anleger aus dem Euroraum, welche in der Regel viele in Dollar nominierte Vermögenswerte halten, hat dies zu einer Stabilisierung der Portfolios in einem insgesamt negativen Marktumfeld geführt.
Transferzahlungen
Für Empfänger von Transfereinkommen (z.B. Rentner oder ALG II-Empfänger) bedeutet Inflation ebenfalls den Verlust von Kaufkraft. Auch hier entsteht eine Lücke, da der Staat Transfereinkommen bei einer Inflation nur mit Verzögerung anpasst.
Zu beobachten ist dies an den Regelsätzen für ALG II, Sozialhilfe und Grundsicherung im Alter. Seit 01.01.2022 bekommen Leistungsempfänger monatlich 3 Euro mehr, was im Schnitt eine Erhöhung von 0,76 Prozent bedeutet und damit weit entfernt von den herrschenden Inflationsraten liegt. Grund für diese Lücke ist die jährliche Fortschreibung der Regelbedarfe, die zwar die Preis- und Lohnentwicklung des vorangegangenen Jahres (2021) einbezieht; die grundsätzliche >Festlegung der Sätze basiert jedoch auf einer Einkaufs- und Verbraucherstichprobe, die nur alle 5 Jahre durchgeführt wird – zuletzt 2018.
Bei den Renten sieht es ein wenig anders aus. Die Anpassung der Beträge ist deutlich flexibler. Zudem errechnete der Deutsche Rentenversicherungsbund, dass die Rentenerhöhung zwischen 2000 und 2020 im Schnitt über der Inflationsrate lag. Das hat sich 2021 geändert. Bei einer Nullrunde im Westen und einer leichten Erhöhung von 0,72 Prozent im Osten gab es eine >deutliche Lücke zur Inflationsrate. Da die Renten in Deutschland an die Löhne gekoppelt sind, lag die Erhöhung 2022 etwas höher. Seit >Juli bekommen Rentnerinnen und Rentner im Westen 5,35 Prozent mehr und im Osten 6,12 Prozent.
Investitionen in Sachwerte
Wenn Geld an Wert verliert, nimmt auch seine Bedeutung als >Anlageform ab. Wie wir gesehen haben, ist >Sparen während einer Inflation mit niedrigen Zinsen problematisch, stattdessen werden >Investitionen in Sachwerte (Aktien, Immobilien, Gold) attraktiver.
In der Regel steigt der Wert von Sachvermögen während einer Inflation, sodass zumindest Realverluste in der Höhe, wie sie beim Geldvermögen erfolgen, verhindert werden können.
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Die Inflation in Deutschland: ein Déjà Vu?
Jede Inflation ist anders. Jede hat ihren eigenen Charakter und erfordert neue Lösungswege. Phasen der allgemeinen Preissteigerungen verändern jede Gesellschaft, denn jeder ist – auf unterschiedliche Art und Weise – davon betroffen. Das macht sie so faszinierend und gleichzeitig so herausfordernd.
Inflation hat viele Ursachen, die in kombinierter Form auftauchen können. Dabei werden vielfältige ökonomische Prozesse in Gang gesetzt, was es umso schwieriger macht, aus einer solchen Phase wieder heraus zu kommen. Die Hyperinflation von 1923 wurde durch eine hohe Kreditaufnahme der Regierung ausgelöst. Dadurch kam immer mehr Geld in Umlauf, ohne dass das Güterangebot nachkommen konnte. Als die Inflation „galoppierte“ verlor Geld seine Funktion als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel und es half nur noch eine komplette Währungsreform.
Dies ist eine stark verkürzte Zusammenfassung der damaligen Ereignisse, doch es sollte deutlich machen wie sehr sich Ursachen, Verläufe und Auswirkungen von Inflationen unterscheiden können. Auch die unterschiedlichen Wirtschaftssysteme und politischen Prozesse machen einen Vergleich schwierig. Daher sollten wir im Hier und Jetzt bleiben und uns auf Erkenntnisse stützen, die die Forschung und ökonomische Praxis in den letzten Jahren und Jahrzehnten hervorgebracht hat.
Eine Inflation wird immer Gewinner und Verlierer hervorbringen, doch es ist Aufgabe unserer aktuellen Politik und Gesellschaft, mögliche Umverteilungen sinnvoll zu steuern und den Zusammenhalt zu stärken.
Quellen
1 Nadine Behncke: Inflationsursachen: Übersicht, Definition und Beispiele, https://thinkaboutgeny.com/inflationsursachen
2 Sehr gut erklärt, wird der Zusammenhang zwischen Geldmenge, Kreditnachfrage und Inflation hier: https://www.dezernatzukunft.org/der-leise-tod-der-geldmengensteuerung-ende-eines-irrwegs/
3 Zur Berechnung der persönlichen Inflation stellt das Statistische Bundesamt einen Inflationsrechner zur Verfügung: https://service.destatis.de/inflationsrechner/