Fehlerkultur: Hast du den Mut, zu scheitern?

Wir alle machen Fehler. Oder wie Seneca es ausdrückte: „Irren ist menschlich.“

Gut 2000 Jahre ist Senecas Erkenntnis alt. Eine Zeitspanne, die ausreichen sollte, um eine positive Fehlerkultur in der Gesellschaft zu verankern. Dass wir davon noch weit entfernt sind, können wir täglich in den Gazetten verfolgen. Geschichten von ehemals erfolgreichen „Promis“, die heute insolvent sind, stehen hoch im Kurs. Ebenso beliebt sind Erzählungen von gescheiterten Managern und Sportstars …

Warum eigentlich? Zeigen wir mit dem Finger auf andere, um uns selbst aufzuwerten? Wäre es nicht gescheiter, selbst etwas zu wagen und Fehler zum Anlass zu nehmen, um daraus zu lernen …

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Positiver Umgang mit Fehlern: Babys als Vorbild

Ein Neugeborenes hat im Mutterleib zwei Basiserfahrungen gemacht:

  • Verbundenheit
  • Wachstum

Darüber hinaus sind Babys relativ unbelastet, wenn sie das Licht der Welt erblicken. Ihnen beim Lernen zuzuschauen, ist die reinste Freude. Sie vollbringen wahre Meisterleistungen. In rund einem Jahr erwerben sie die Fähigkeit zu laufen. Auf dem Weg dahin fallen sie hunderte Male auf den Po und richten sich wieder auf. Aufstehen, umfallen. Immer und immer wieder. Das Beste:

Wenn die Kleinen hinfallen, sind sie nicht frustriert … sie strahlen über das ganze Gesicht und quieken vergnügt. Ihre Begeisterung ist mit den Händen greifbar und der Grund, warum sie mit dieser unfassbaren Geschwindigkeit lernen.

Seit der Geburt meines Sohnes lässt mich daher eine Frage nicht mehr los:

Wo ist meine Begeisterung geblieben?

 

Wo ist die Begeisterung geblieben?

Wir alle haben irgendwann einmal mit ebenjener Begeisterung gelernt, die unsere Kinder heute an den Tag legen. Und jetzt mal Hand aufs Herz: Wie sieht es heute aus?

Nur allzu bereitwillig bewegen wir uns den lieben langen Tag in festgefahrenen Strukturen. Veränderung? Nein, danke. Und wenn wir doch einmal neue Wege beschreiten, begleitet uns eine unterschwellige Angst – die Angst zu versagen.

Ich habe es erst kürzlich wieder bei mir feststellen dürfen:

Je näher meine Prüfungen zum Fachberater für Finanzdienstleistungen rückten, umso mehr Lernfrust machte sich breit. Ich lernte immer weniger aus Begeisterung, sondern weil ich musste. Über allem schwebte die latente Furcht zu versagen. Dabei hätte rein objektiv betrachtet nicht viel passieren können, wenn ich die Prüfungen in den Sand gesetzt hätte. Für mein Tagesgeschäft ist es nicht relevant und ein halbes Jahr später hätte ich die Prüfungen noch einmal schreiben können …

Trotzdem war ich unter latentem Dauerstress. Seit dem Gymnasium geht es mir vor Prüfungen so, wenn ich nicht jedes kleinste Detail auswendig kann. Dabei zeigt die Hirnforschung ganz klar, dass Lernen unter Angst und Stress unproduktiv ist. Was es braucht, ist die Begeisterung, mit der Babys und kleine Kinder lernen.

 

Setzen 6: Unser Bildungssystem als Wurzel allen Übels?

Auf der Suche nach der verlorenen Begeisterung kommen wir an unserem Bildungssystem nicht vorbei …

Ihrer Selektionsfunktion kommen Schulen heute teilweise schon in der ersten Klasse nach. Wenn Erstklässler glückliche und traurige Smileys für ihre Leistungen bekommen, ist das nichts anderes als eine Benotung. Bereits 6 jährige Kinder werden so zum Objekt unserer Bewertung und lernen:

  • Gute Noten bedeuten Anerkennung
  • Schlechte Noten bedeuten, ich bin nicht gut genug

Das Abstruse:

Durch die Benotung lernen Kinder nicht etwa, wie sie sich neues Wissen aneignen, sondern sie lernen, wie sie gute Noten schreiben und so Anerkennung erlangen. Das Erforschen der Welt und das Aneignen neuer Fähigkeiten als erstrebenswertes Zielt tritt in den Hintergrund. Spätestens in der vierten Klasse, wenn es um die Zulassung zum Gymnasium geht, sind unsere Kinder in unserer Leistungsgesellschaft angekommen.

In dem gleichen Maße wie in Folge dessen die intrinsische Motivation unserer Kinder zurückgeht, schwindet die Begeisterung.

 

Die Fehlerkultur in unserer Leistungsgesellschaft

Wenn Fehler bereits bei unseren Kleinsten systematisch bestraft und gute Leistungen belohnt werden (Methoden wie beim Hundetraining), ist es wenig verwunderlich, dass die meisten Bekenntnisse zu einer positiven Fehlerkultur bloße Lippenbekenntnisse sind. Das gilt für Unternehmen ebenso wie für Privatpersonen.

Dabei kommt die Logik von Belohnung und Bestrafung bereits heute an ihre Grenzen. Immer mehr Arbeitsplätze verlangen nach kreativen Köpfen, die ihren Ideen freien Raum lassen.

Schon aus ökonomischen Gesichtspunkten können wir es uns nicht mehr leisten, unsere Potentiale und die Potentiale unserer Kinder verkümmern zu lassen.

 

Potentialentfaltung: Andere dazu einladen, Fehler zu machen

Eins ist klar:

Unser Bildungssystem kann nicht bleiben, wie es ist.

Kindergärten und Schulen müssen Kinder dazu einladen, ihre Potentiale zu entfalten. Dafür brauchen wir völlig neue Konzepte. Unser jetziges System zu verschlimmbessern ist vergebene Liebesmüh.

Ein erster Schritt wäre die Ersetzung der Schulpflicht durch eine Bildungspflicht, damit sich völlig neue Lernräume entwickeln können. Es gibt nichts Schlimmeres als ein Kind, das auf die Frage:

>>Warum gehst du zur Schule?<<

>>Weil ich muss …<< antwortet.

Dass es auch anders geht, zeigt die Initiative Schulen der Zukunft mit ihren Portraits von Schulen, die bereits umdenken. Die Beispiele zeigen, dass Noten ebenso wenig alternativlos sind, wie starre Klassenverbände und Frontbeschallung.

Wenn wir es schaffen, zukünftigen Generationen Freiräume zu schaffen, in denen sie ihre Potentiale entfalten können, stellt sich immer noch die Frage nach uns …

Was machen wir? Wie schaffen wir es, die Kraft aufzubringen, neue Wege zu beschreiten und uns weiterzuentwickeln? Für mich als Unternehmer eine entscheidende Frage. Ständig stehe ich vor neuen Herausforderungen und teilweise schiebe ich sie viel zu lange vor mir her – nicht zuletzt weil ich befürchte, dass ich mit meiner Arbeit scheitere.

Ich glaube der Schlüssel liegt darin, sich ein Umfeld zu schaffen, dass einen zum Scheitern ermutigt. Dafür ist es unabdingbar, dass du selbst andere dazu einlädst, ihr Potential zu entfalten und ihnen dabei den Raum für Versuch und Irrtum zugestehst.

Was glaubst du?

Dein Finanzkoch
Christoph Geiler

 

Portrait vom Autor dieses Artikels
Über Christoph Geiler

Als Finanzberater bin ich auf die Themen Finanzplanung, Geldanlage und Altersvorsorge spezialisiert. Als Finanzkoch bin ich konzeptionell tätig und erstelle Inhalte. In meiner Freizeit schwinge ich den Kochlöffel, treibe Sport und spiele mit meinem Sohn.