Wie kann es sein, dass ein Fonds mit 100 Prozent Aktien ein mittleres Risiko hat? Und wie kann es außerdem sein, dass dieser Fonds bis 2022 in einer höheren Risikoklasse eingestuft war, obwohl sich nichts am Produkt geändert hat?
Seit dem 1. Januar 2023 sind Anbieter von Fondsprodukten verpflichtet, allen Anlegern das >Basisinformationsblatt zur Verfügung zu stellen. Es soll potenziellen Käufern in verständlicher Weise die Funktionsweise, Kosten und Risiken aufschlüsseln. Früher bekannt als wesentliche Anlegerinformationen kommt es nun mit einheitlicher Struktur und Anforderungen einher, um die Produkte EU-weit vergleichbar zu machen.
Im Zuge dieser Neuerung hat sich auch inhaltlich einiges geändert. Am interessantesten ist die Überarbeitung des Risikoindikators mit neuer Berechnungsgrundlage und Streuungskategorien der Risikoklassen. Viele Fonds werden plötzlich einer niedrigeren Risikostufe zugeordnet. Aber macht sie das auch risikoärmer?
Im Artikel besprechen wir, was sich geändert hat, wofür die Risikoklassen stehen und was Anleger zum Thema Risiko allgemein beachten sollten.
Inhaltsverzeichnis
Was ist der Risikoindikator?
Jedes Kapitalanlageprodukt ist mit einem Risiko verbunden. Wirtschaftliche Krisen, Zinsänderungen oder andere Einflüsse können dazu führen, dass diese Produkten in ihren Werten schwanken. Diese Schwankungen können aber sehr unterschiedlich sein. Geldmarktfonds schwanken in der Regel weniger als reine Aktienfonds.
Nun ist aber nicht jeder Anleger bereit oder fähig, diese Schwankungen hinzunehmen. Denn das bedeutet ja auch, dass dieses Produkt im Wert fallen kann. Und da wir nicht wissen, was in Zukunft passieren wird, fällt es einigen schwerer, größere Schwankungen auszusitzen.
Mit Hilfe des Risikoindikators werden Anlageprodukte in eine von 7 Risikoklassen einsortiert, um Anlegern einen Anhaltspunkt zu geben, wie groß das Risiko und damit mögliche Verluste bei diesem Produkt sind.
Laut Basisinformationsblatt beruht die Einordnung in die jeweilige Klasse auf der Annahme, dass die Anlage 5 Jahre gehalten wird. Ein früherer Verkauf kann zu höheren Verlusten führen.
Unterhalb der Risikoklassen befinden sich zusätzliche Informationen, die Anlegern helfen sollen die jeweilige Risikoklassen einordnen zu können. Es wird unter anderem erklärt, wie die Risikoklasse definiert ist, welche weiteren Risiken hinzu kommen und was sonst noch im Hinblick auf das Risiko beachtet werden sollte.
Anschließend werden unterschiedliche Performance-Szenarien wieder gegeben, um zu zeigen wie sich die Anlage in besonders guten und besonders schlechten Zeiten in der Vergangenheit entwickelt hat. Auf diese Szenarien werden wir in einem anderen Artikel eingehen.
Wie wird der Risikoindikator berechnet?
Bevor wir uns anschauen wie der Risikoindikator seit 2023 im Basisinformationsblatt berechnet wird, werfen wir einen Blick auf die Berechnungsmethode, die zuvor benutzt wurde.
Vor 2023 nutzte man den Synthetic Risk and Reward Indicator (synthetischer Risiko-Rendite-Indikator, kurz SRRI) als Kennzahl, um das Risiko einer Anlage veranschaulichen zu können. Für die Berechnung wurden die Wertentwicklungen der vergangenen 5 Jahre herangezogen, die wöchentlich ermittelt wurden.
Mit Hilfe von statistischen Methoden konnte die Standardabweichung eines Produkts bestimmt werden. Am Ende kam eine Verhältniszahl heraus. Das heißt, am Indikator ließ sich ablesen wie stark es schwanken kann. Lag das Ergebnis bei 10 Prozent, wusste man, dass die Anlage 10 Prozent nach oben oder unten schwanken kann.
Seit 2023 gibt der Summary Risk Indikator (SRI) das Risiko der Anlage wieder. Hier wird nicht nur das Marktrisiko berechnet, sondern auch die Bonität des Emittenten, also das Kreditrisiko.
Wenn wir es mit Fonds und ETFs zu tun haben, hat das Kreditrisiko jedoch keine Auswirkungen auf die Gesamtberechnung. Das liegt daran, dass die Fondsanteile als Sondervermögen separat in einer Verwahrstelle liegen und eine Insolvenz der Kapitalverwaltungsgesellschaft (hier der Emittent) geringen Einfluss auf das Vermögen hat. Anders als zum Beispiel bei Garantiefonds. Hier geben Kreditinstitute Garantien und werden entsprechend ihrer Bonität berücksichtigt.
Das Marktrisiko wird im Falle des SRI etwas anders berechnet als im Falle des SRRI. In die Berechnung fließen mindestens die Wertentwicklungen des letzten 2 Jahre ein, die – wenn möglich – täglich aktualisiert werden. Es wird zunächst der Value-at-Risk (VaR) berechnet.
Der Value-at-Risk drückt die Verlusthöhe einer Anlage aus, die mit einer zuvor festgelegten Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Über die sogenannte Cornish-Fisher-Erweiterung wird die annualisierte Volatilität berechnet. Laut EU-Verordnung wird eine Wahrscheinlichkeit von 97,5 Prozent zugrunde gelegt. Ergibt die Berechnung des Marktrisikos einer Anlage zum Beispiel 10 Prozent, dann weiß ich, dass diese Anlage mit einer Wahrscheinlichkeit von 97,5 Prozent einen maximalen Verlust von 10 Prozent haben wird.
Während ich also beim SRRI nicht weiß, in welche Richtung die Volatilität geht (es kann sich um Verluste oder Gewinne handeln), ist beim SRI klar, dass hier ausschließlich Verluste gemeint sind.
Und nun kommen zu meinen ersten Irritationen: beide Risikokennzahlen verwenden Risikoklassen, um Anlegern anschaulich darzustellen, wo sich das Produkt einordnet und einen Vergleich mit anderen Produkten erleichtert. Beide Kennzahlen arbeiten mit der gleichen Anzahl von Risikoklassen, ordnen die Produkte aber teils unterschiedlich ein.
Was bedeuten die Risikoklassen?
Die Einordnung der Anlagen erfolgt anhand von 7 Risikoklassen – sowohl beim SRRI als auch beim SRI. Risikoklasse 1 ist die Klasse mit dem geringsten Risiko wie zum Beispiel bestimmte Anleihe- oder Geldmarktfonds. Risikoklasse 7 verkörpert das höchste Risiko. Hier werden Derivate einsortiert, bei denen das Verlustpotenzial höher ist als das eingesetzte Kapital.
Die Klassen dazwischen sind Abstufungen. Hier verteilen sich Immobilienfonds, Mischfonds, Aktienfonds oder ETFs.
Entsprechend der eigenen Risikoneigung können sich Privatanleger hier einordnen. Für Anleger, die eher sicherheitsorientiert beziehungsweise risikoscheu sind, sollen Produkte der Risikoklasse 1 bis 3 geeignet sein. Ertragsorientierte Anleger mit mittlerer Risikobereitschaft sollten hiernach Produkte der Klassen 4 und 5 wählen. Besonders risikobereite oder spekulationsfreudige Anleger dürfen sich an Produkte der Klassen 6 und 7 wagen.
Warum werden aber einige Produkte nach der neuen Methode in eine niedrigere Risikoklasse einsortiert, obwohl sich am Produkt selbst nichts geändert hat? Das werden wir verstehen, wenn wir die Schwankungsbreiten der einzelnen Klassen mit einander vergleichen.
Die Schwankungsbreiten für das Marktrisiko nach SRRI und SRI wurden rechtlich definiert. Wir wissen zwar, dass beim SRI noch das Kreditrisiko hinzu kommt. Für Fonds und ETFs spielt dieses Risiko – wie oben erklärt – keine Rolle. Für Anlageprodukte, bei denen das Kreditrisiko eine Rolle spielt, lässt sich dieser Vergleich nicht so ohne weiteres anstellen.
Die Tabelle zeigt, dass beim neuen SRI die >Schwankungsbreiten der jeweiligen Risikoklasse anders definiert werden als vorher. Nach der neuen Methoden dürfen Anlageprodukte der gleichen Risikoklasse deutlich mehr schwanken.
Das bedeutet, dass ein Produkt, welches aufgrund seiner höheren Volatilität beispielsweise in die Risikoklasse 5 einsortiert wurde, nach der neuen Berechnungsmethode in eine niedrigere Risikoklasse eingestuft wird, obwohl sich am Produkt selbst nicht geändert hat.
Für Privatanleger könnte dies den Eindruck erwecken, das Produkt wäre nun risikoärmer. Die oben gezeigte Tabelle steht so auch in keinem Basisinformationsblatt. Mögliche Verlusthöhen lassen sich dennoch darin finden. Die Performance-Szenarien sollen veranschaulichen, wie sich die Anlage in guten bis schlechten Phasen verhält.
Am Beispiel des iShares Core MSCI World ETFs lässt sich dies gut nachvollziehen. Das Produkt bildet einen bestimmten Index ab und hat sich in den letzten Jahren nicht geändert. Durch die neue Zuteilung der Schwankungsbreiten landet der ETF in eine risikoärmere Klasse. In den Wesentlichen Anlegerinformationen ist er in der Klasse 5 einsortiert, mit dem Basisinformationsblatt rutscht er in die 4. Und das gilt für die meisten ETFs.
Individuelle Anlageberatung anfragen: Wir entwickeln eine Anlage, die dazu geeignet ist, deine Ziele effizient zu erreichen.
Was sollten Anleger in Bezug auf Risiko beachten?
Allein die geänderten Schwankungsbreiten bei gleicher Anzahl an Risikoklassen sorgt bei uns für Irritationen. Sehe ich mir ausschließlich die Risikoklassen an, könnte ich die Frage stellen: Ist das Produkt jetzt risikoärmer oder muss ich mich in eine niedrigere Risikoklasse einordnen? Dabei greift diese Frage viel zu kurz und kratzt nur an der Oberfläche. Aber eins nach dem anderen.
Die Sicht der Privatanleger
Die Intention hinter dem Basisinformationsblatt ist es, Privatanlegern in verständlicher Weise das Anlageprodukt näher zu bringen. Es kann also nicht voraus gesetzt werden, dass jeder Kaufinteressent entsprechende Erfahrungen oder oder Kenntnisse zu Geldanlage und Kapitalmärkten besitzt. Mit Lektüre des Basisinformationsblatt können Laien verstehen, was dieses Produkt tut und dass Risiken mit dem Kauf verbunden sind.
Sie werden aber vermutlich nicht das gleiche Verständnis für Finanzmärkte haben wie langjährige oder professionelle Anleger. Produktrisiken sind zudem nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was auf den Anleger zukommt. Andere Risikodimensionen (dazu später mehr) spielen hier keine Rolle. Hinzu kommt, dass die Verlustgrößen nur indirekt bei den Performance-Szenarien ausgewiesen werden.
Die Sicht der Berater
Schauen wir uns nun die Perspektive der Berater an: Auch Berater orientieren sich am Basisinformationsblatt. Es bildet den Mindeststandard an Informationen, die ein Privatanleger für seine Entscheidung benötigt. Daneben begründet es vor allem einen rechtlichen Mindeststandard und somit die Absicherung für den Berater. Solange er mit dem potenziellen Anleger die Inhalte des Basisinformationsblatts bespricht und es diesem zur Verfügung stellt, hat er seine Beratungsverpflichtungen erfüllt.
Das heißt auch, dass er auf Grundlage der Risikoevaluation des Interessenten und die Einordnung in die Risikoklassen entsprechend Empfehlungen aussprechen kann, ohne sich aber mit der Gesamtsituation des Kunden auseinandersetzen zu müssen. Und das bringt uns zur Frage, was jede Anlegerin und jeder Anleger in Bezug auf das Thema Risiko beachten sollte.
Entscheidung unter Risiko
Die Entscheidung für eine Anlage fußt auf 4 Säulen: Risikotragfähigkeit, Risikobedarf, Risikobereitschaft und Risikowahrnehmung. In diesem >Artikel gehen wir tiefer in das Thema hinein. Hier nur so viel: Bei der Risikotragfähigkeit geht es um die Fragen, wie viel Risiko ich eingehen kann, ohne in finanzielle Schwierigkeiten zu kommen, wenn etwas schief läuft. Der Risikobedarf sagt mir, wie viel Risiko ich eingehen muss, um eine bestimmte erwartete Rendite zu erhalten – denn ohne Risiko keine Rendite.
Risikobereitschaft und Risikowahrnehmung hängen eng zusammen, weil es darum geht, wie viel Risiko ich eingehen möchte. Und das ist wiederum abhängig davon, was Risiko für mich persönlich bedeutet, wie ich es wahrnehme.
Ohne einen Blick auf die Gesamtsituation kann ich als Beraterin keine nachhaltigen Empfehlungen aussprechen. Im Extremfall könnte ich zum Beispiel als risikoneutrale Person in die Risikoklasse 4 einsortiert werden und verfüge plötzlich über ein Portfolio, welches zu 100 Prozent auch Aktien besteht. Vielleicht bin ich aber in ein paar Jahren auf dieses Geld angewiesen und wenn dann eine Krise ist, gerate ich in Schwierigkeiten.
Auf der anderen Seite werde ich als risikoscheue Person in die Risikoklassen 1 oder 2 eingeordnet und in meinem Portfolio landen nur Rentenfonds. Diese allein sind aber nicht für einen langfristigen Vermögensaufbau geeignet. Je nachdem, welche finanziellen Ziele ich verfolgen, reichen diese Anlagen möglicherweise nicht aus, um sie zu erreichen.
Ein effizientes Portfolio sollte immer aus risikoarmen und risikoreichen Anlagen bestehen. Die 4 (Risiko-)Säulen entscheiden dann darüber, in welchem Verhältnis risikoreich und risikoarm zueinander stehen – unter Berücksichtigung meines Gesamtvermögens.
Das kann ein Basisinformationsblatt und ein Berater, der sich ausschließlich darauf beruft, nicht leisten.
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Resümee
Mit Einführung des Basisinformationsblatts werden nun alle in der EU aufgelegten Finanzprodukte miteinander vergleichbar. Das unterstützt Privatanleger bei der Produktwahl. Gleichzeitig sollen die Blätter einen verständlichen Überblick über Funktionsweise, Kosten und Risiken geben.
Wie wir im Artikel gezeigt haben, gibt es gerade bei der Frage des Risikos einiges, was nicht sehr verständlich ist. Besonders deutlich wird dies bei der Definition und Einordnung der Risikoklassen. Durch die deutliche Erweiterung der Schwankungsbreiten der einzelnen Klassen rutschen viele Produkte nun in eine niedriger Klasse, ohne dass sich am Produkt selbst etwas geändert hat. Dies erweckt den Anschein, dass das Produkt risikoärmer ist.
Daneben wird deutlich, dass, wenn es um das Thema Risiko geht, die Entscheidung für ein Produkt nicht allein auf Grundlage des Basisinformationsblatts getroffen werden sollte. Sonst könnte man schnell mit einem 100-prozentigen Aktienportfolio enden.
Das Risiko hat bei der Entscheidung mehrere Dimensionen beziehungsweise Säulen, die immer im Kontext des Gesamtvermögens betrachtet werden sollten.